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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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als er zum erstenmal vernommen wurde, er habe immer gehofft, daß im späteren Leben, wenn Jürgen, den er in seiner Kindheit als «Kronprinzen» betrachtet hatte, mit ihm im Geschäft zusammenarbeitete, «unser Verhältnis sich bessern würde», ohne zu sagen, wie diese Entwicklung zustande kommensollte. Gerhard Bartsch erklärte: «Ich mache niemandem Vorwürfe, vielleicht nur mir selbst.» . (Was meinte er mit «vielleicht»?)
    Dann rief er in einer plötzlichen Aufwallung: «War diese Sache in ihm von Geburt an, oder haben wir etwas Falsches gemacht?» Die Antwort des Vorsitzenden war eine der erstaunlichsten Äußerungen eines erstaunlichen Prozesses: «Herr Bartsch, ich bin überzeugt, Sie und Ihre Frau haben absolut keinen Grund für Selbstvorwürfe.»
     
    Drei Psychiater aus Nordrhein-Westfalen haben Jürgen Bartsch im ersten Prozeß begutachtet. Im allgemeinen kann man ihre Gutachten als vernichtend für Jürgen bezeichnen; fast brachten sie selber eine Anklage vor, statt diese dem Staatsanwalt vorzubehalten. Die Sachverständigen betonten, jede Prognose über eine chirurgische oder hormonelle Entmannung müsse ungewiß bleiben; man habe Beispiele, wo Rückfälle eingetreten seien, und schließlich gebe es für einen Fall wie den vorliegenden kein «Präzedens».
    Ein Sachverständiger führte an, Jürgen sei schon mit fünfzehn Monaten «sauber» gewesen, worauf dieser mit merkwürdiger Begeisterung sagte: «Das wird meine Mutter in mich eingeprügelt haben. Sie hat mir manchen Kleiderbügel über den Rücken kaputtgeschlagen.» Die Richter haben diese beiden Spuren nicht verfolgt, die Sachverständigen auch nicht. Ein so kleines Kind, einen Krabbler, «sauber» zu prügeln, gelingt nur drakonischer Herzlosigkeit: mit modernen, psychologisch aufgeklärten Methoden der Erziehung wird ein Kind erst mit drei bis dreieinhalb Jahren völlig «sauber». Die Wahrheit über dieses Kapitel kam erst beim zweiten Prozeß – siebenundzwanzig Monate später – ans Licht.
    Ein Gutachter, Privatdozent Dr.   Dr. (mittlerweile Professor) Paul Bresser, stellte Bartsch eine Prognose, die er «ziemlich pessimistisch» nannte. «Seine Potenz ist kaum zu steuern. Eine psychologische Umerziehung würde Jahre oder Jahrzehnte der Therapie bedeuten, mit aller Kraft des Arztes, und auch dannkönnte man nicht optimistisch sein. Man hofft zu helfen; aber wenn bei einem so jungen Menschen eine derart extreme Situation vorliegt, ist jeder Beistand schwierig.» Er würde gern einen Weg finden, Bartsch zu helfen, sehe jedoch keinen: «Zu diesem Zeitpunkt ist so eine Möglichkeit noch nicht gegeben.» Seine ablehnende Meinung über die Psychoanalyse hatte er schon früher verkündet: «Wenn man hier die Psychoanalyse heranläßt, wird jeder exkulpiert!»
    Zwei gescheite junge Sozialarbeiter von der Jugendgerichtshilfe des Jugendamtes, Gerald John und Dietrich Wilke, hatten einen Bericht ausgearbeitet, den Herr John verlas. Offensichtlich war es ihnen gelungen, in tiefere Schichten des Familienlebens der Bartschs einzudringen als die drei Professoren. «Die Mutter ist dem Vater nur äußerlich untertan», führten sie aus. «Es waren ständig starke Spannungen.» Jürgen hatte seinen Vater «laut und bullig» genannt; als er sechs war, wollte seine Mutter einmal davonlaufen. Meistens stritten sie über Geld und Verwandte. Eine Zeitlang bedeutete eine Verkäuferin im Geschäft mehr für Jürgen, als ihm jemals seine Eltern bedeutet hatten. Als von den häuslichen Streitigkeiten die Rede war, sagte sein Vater, soweit Jürgen keine Prügel bekam, könne man kaum von einem Krach im Hause sprechen.
    Jürgen hatte jede Erinnerung an seine kurze Zeit im Kindergarten St.   Ludgerus in Essen-Rüttenscheid verdrängt; solche Verdrängung beruht natürlich auf Traumatisierung. Eine Lehrerin aus dem Rheinbacher Kinderheim erzählte, sie habe Jürgen einmal im Garten gesehen und gefragt, warum er allein sei; er antwortete wehmütig: «Ich gehe hier so gern allein.» Als er wieder einmal traurig war, nahm ihn dieselbe Lehrerin auf den Schoß, und als die anderen Kinder über den großen Jungen auf dem Schoß grinsten, sagte er: «Die haben gut lachen, sie wissen nicht, was es ist, nicht nach Hause zu Mutti zu können.»
    Die beiden jungen Sozialarbeiter vom Jugendamt wiesen darauf hin, daß Jürgen bald, nachdem er durch Zufall von seiner Adoption erfahren hatte, versuchte, sich Freundschaft zu erkaufen.Sein Vater ließ ihn von 6.30 bis 20   Uhr

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