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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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Kenntnisse hatte, verriet er nicht.
    Frau Bartsch gab zu, daß Jürgen, «als er arbeiten mußte, vielleicht ein bißchen zu kurz gekommen» sei, und sagte, als ein Mädchen, das sich um Jürgen gekümmert hatte, den Dienst verließ, hätten beide, das Mädchen und Jürgen, geweint. Aus einer anderen Stelle der Zeugenaussage ging hervor, daß Jürgen keine Tränen vergoß, wenn er ins Internat ging oder ein anderes Ereignis eine Trennung zwischen ihm und seinen Eltern bewirkte.
    Der Vorsitzende fragte, ob sie sich Vorwürfe mache, weil sie der Fleischerei mehr Aufmerksamkeit gewidmet habe als der Erziehung ihres Sohnes. Frau Bartsch zögerte keine Sekunde, ehe sie ausrief: «Nein! Gar keine! Das Geschäft war ja meine Existenz! Es geht ja Tausenden von Familien so!» Worauf der Vorsitzende verständnisvoll hinzufügte: «Tausenden? Millionen!»
    Was Jürgens zwei Heimaufenthalte betraf, so hatte er nie zu seinen Eltern gesagt, er sei gern dort – «aber wir hatten diesen Eindruck». Auf wiederholte Fragen des Richters, ob Jürgen gelegentlich seiner Mutter gegenüber Zuneigung gezeigt habe, antwortete Frau Bartsch nie mit einem einfachen oder spontanen «Ja», sondern mit «Natürlich!» oder «Warum nicht?» – und einem kleinen, aber spürbaren Anflug von Ärger, daß jemand die Kühnheit besaß, so etwas zu fragen.
    Als Jürgen aus der Schule fortlief, sah seine Mutter darin kein Alarmzeichen, daß vielleicht die Umgebung nicht stimmte, sondern war bloß «furchtbar enttäuscht»: «Ich konnte nicht glauben, er würde überhaupt so etwas machen.» War Jürgen gern Metzger geworden? Die erstaunliche Antwort seiner Mutter: «Das weiß ich nicht.» Dann fuhr sie fort: «Ich selber fand ihn zu sensibel für diesen Beruf.» Infolge des langen Arbeitstages im Geschäft wardie einzige Mahlzeit, die die drei Familienmitglieder gemeinsam einnahmen, öfters nur das Sonntagmittagessen.
    Frau Bartsch hatte die frühe Sperrstunde für Jürgen angeordnet, weil er «in meinen Augen überhaupt nicht erwachsen war. Wenn er von der Arbeit nach Hause kam, mußte er sich melden, damit ich wußte, es war nichts passiert.» Ihren einundzwanzigjährigen Sohn beschrieb sie als «immer noch ein großes Blag».
    Und was sei, fragte der Vorsitzende mit geringschätzigem Lächeln, mit all diesen Geschichten, sie habe Jürgen noch bis zu seiner Verhaftung gebadet? Frau Bartsch tat diese Geschichten als «lächerlich» ab. «Ich habe beim Baden nie etwas empfunden» – worauf der Richter nicht im mindesten angespielt hatte. «Ich habe nie erlebt, daß ein Junge in diesem Alter» – neunzehn – «sich wirklich sauber kriegte. Ich hab ihm den Kopf und den Rücken gewaschen, aber nicht die Geschlechtsteile.» Der Richter sagte, er hoffe, ihre Erklärung schließe dieses spezielle Kapitel ab, und Frau Bartsch erwiderte eifrig: «Hoffentlich, hoffentlich.» Der Richter beugte sich vor und bemerkte spontan: «Es ist gut, daß Sie heute hergekommen sind.» Und wieder maßte er sich an, für uns alle zu sprechen: «Ihre Persönlichkeit macht auf uns einen ausgezeichneten Eindruck.»
    Sie leugnete, gewußt zu haben, daß ihr Mann jemals auf dem Bett gesessen und geweint hätte. Und wie war es mit den Wutausbrüchen zwischen ihr und ihrem Mann? «Kann ich nichts sagen.» Nach einer Sekunde fügte sie lediglich hinzu: «Es war nie Weltbewegendes.» Hat sie Jürgen, als er für den Kollegen in Essen arbeitete, an den Nachmittagen, die sie mit ihm verbrachte, mit Süßigkeiten vollgestopft? «Unsinn!» Aber er hat sich mit ihr gut unterhalten? «Ja!», antwortete sie emphatisch, «natürlich!»
    Der Vorsitzende fragte sie nach dem Muttertag 1966, als Jürgen sein viertes Opfer, Manfred Grassmann, ermordete. War sie ärgerlich gewesen, als Jürgen erst um neun Uhr abends nach Hause kam? «Ja! Sehr! Er war ja nicht pünktlich.» Jahre später hat Peter Frese, das einzige überlebende Opfer von Jürgen Bartsch, noch immer mit Erstaunen erzählt: «Das Schärfste war, er fragte michplötzlich, wie spät es war!» Die Aussage von Frau Bartsch beendete die Beweisaufnahme.
     
    Oberstaatsanwalt Fritz Klein, einundsechzig Jahre alt und Vater von zwei Kindern, forderte das Gericht auf, Jürgen Bartsch als Erwachsenen zu betrachten und ihn zu lebenslänglichem Zuchthaus zu verurteilen. Man saß da und konnte es kaum glauben, als er erklärte: «Das Elternhaus kann nicht besser gedacht werden. Welche nachteiligen Einflüsse sollten von einem solchen Vater

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