Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
ärztlicher Behandlung bedürfen. Hier von der ‹Einmaligkeit› des Sadismus bei Bartsch zu sprechen, bedeutet angesichts dieser Fakten Verleugnung der Realität. Die ‹Einmaligkeit› bezieht sich wesentlich auf den krankhaften, deutlich sexuell perversen Anteil der Tatausführung. Kindesmißhandlung ist jedoch grundsätzlich aus perversen, unbewußten Motivationen verursacht.
«Sowohl der Perspektive der Sachverständigen, wie auch den Zielvorstellungen des Schuldstrafrechtes und damit des Strafvollzuges(auch der psychiatrischen Intervenierung nach § 42b StGB) liegen überholte Vorstellungen von der Psychologie und Triebdynamik des Menschen zugrunde, mit denen weder eine Resozialisierung noch eine sinnvolle Vorbeugung oder Heilung der zugrundeliegenden Perversionsstruktur erreicht wird. Die allgemeine Ratlosigkeit, was nun eigentlich mit Bartsch geschehen solle, und die Forderung der Todesstrafe oder Lynchjustiz in breiten Kreisen der Allgemeinheit unterstreichen nur, daß die Denkweise des Taliongesetzes noch überwiegt. Damit ist nichts erreicht. Daß etwas erreicht werden kann, beweisen die skandinavischen Beispiele eines völlig veränderten Strafvollzuges.
«Es wäre wünschenswert, wenn die Allgemeinheit sich an diesem entsetzlichen Beispiel, für dessen Opfer und deren Eltern jedermann das tiefste Mitgefühl haben muß, besser darüber klar werden würde, welche Veränderungen in unserem Problembewußtsein erforderlich sind, um mit der Bereitschaft des Menschen zur Grausamkeit und Sadismus zu rechnen, statt dies durch Idealisierungen zu verleugnen. Hätte man Bartsch weniger als ‹höflichen, freundlichen, arbeitsamen Schüler› idealisiert, so wäre die Selbsttäuschung der Umgebung nicht den unschuldigen Opfern zum Verhängnis geworden. Mörder leben stets unter uns, bevor sie es werden. Die potentielle Bereitschaft des Menschen zum Mord als Relikt tief verdrängter und verleugneter Kindheitsphantasien wahrzunehmen und nicht zu verleugnen, sondern wachsam als eine gegebene, reale Triebtendenz unter bewußter Kontrolle zu halten, würde mehr vorbeugen als alle moralische Entrüstung und Schönfärberei unwahrer Idealisierungen.
«4.) Wer entscheidet nun darüber, was für die lebenslängliche Zuchthauszeit eines heute Einundzwanzigjährigen geschehen soll? Was bedeutet es, wenn Bartsch seine Identität als Mörder wirklich begreift in vielen Jahren? Wer ermöglicht ihm einen Zugang zu den ihm selbst noch heute unbewußten, tatsächlichen Motiven seines Handelns? Kein ausreichend vorgebildeter Psychiater in der übrigen Welt würde annehmen, die Bartsch selbst heute bewußten Gründe seiner Verbrechen seien die wirklicheninneren Motive. Wenn wir aber auf die Dauer solche Verbrechen verhüten wollen, werden wir uns genauer gerade um diese, dem Täter selbst weitgehend unbewußten wirklichen Motive und ihre Entstehung aus bestimmten Vorstrukturen kümmern müssen. Das wird unser bisheriges Bild des Menschen erheblich ändern und damit auch unsere Meinung über uns selbst. Diese Einsicht scheint so unangenehm für die Allgemeinheit zu sein, daß sie solange wie irgend möglich hinausgeschoben werden muß, weil sie an Vergangenes rührt, mit dem niemand jemals etwas zu tun gehabt haben will.»
Dazu Jürgen Bartsch selber: «Im ersten Prozeß hieß es: ‹Er entschied sich brüsk für das Böse.› Ach, Gott – ich meine, wenn man das so nennen will, soll man es tun. Dazu kann ich nicht viel sagen. Ich kann immer nur sagen, die Empfindung habe ich nicht gehabt. Ich habe das Gefühl, daß die Entscheidung nicht so hundertprozentig in meinem Kopf da noch lebte. So war das sicherlich nicht. Sie können sich das nicht vorstellen. In so einer Situation ist das, als ob Sie im wahrsten Sinne des Wortes körperlich nahe daran wären, in der Mitte durchzubrechen, als ob Sie zerreißen. So ein körperliches Gefühl ist das. Unwahrscheinlich …»
Über den Prozeß in Wuppertal berichtete für die
Frankfurter Allgemeine Zeitung
auch der damalige Ausbildungskandidat im Frankfurter Sigmund-Freud-Institut Tilmann Moser, heute Psychoanalytiker in Freiburg. In den
Frankfurter Heften
faßte er zusammen: «… hätten die Gutachter in sachlicher Tonart ihre dem Gericht so entgegenkommenden Befunde verlesen, man hätte noch resigniert glauben können, der gelenkte Zufall habe drei Wissenschaftler zusammengeführt, deren psychiatrische Überzeugungen und deren Vorstellungen von der Funktion des Strafrechts
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