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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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weil damit falsche und pervertierte Ideale verknüpft waren. Die Beurteilung der psychologischen Situation des Täters ist von diesem Verleugnungsprozeß beeinflußt, weil die Grausamkeiten der Vergangenheit stets nur wenigen Tätern zugeschrieben werden, obgleich sie von der Allgemeinheit geduldet wurden. Dieses ‹Symptom› Bartsch ist als Einzeltäter beurteilt worden, ohne die realen Hintergründe der allgemeinen Grausamkeitstendenzen mit zu berücksichtigen.
    «Im Gruppenbewußtsein überwiegt die Vergeltungsidee des Schuldstrafrechts, auch aus Rücksicht auf die Familien der Opfer und deren Gefühle. Die Psychopathologie von Bartsch ist abernur aus dem sozialen (psychosozialen) Zusammenhang zu verstehen. Dabei wird offenbar immer wieder die Fähigkeit zu formalen Intelligenzleistungen als Kriterium der Schuldfähigkeit angesehen, während die tieferliegenden Strukturdefekte der viel früher entstandenen Ich-Spaltung übersehen werden. Im vorliegenden Fall sind sie m. E. aus Gründen unterbewertet worden, die von der allgemeinen Empörung über die Scheußlichkeit des Verbrechens mitbestimmt waren. Man muß jedoch – wenn nicht rein kriminalpolitische Motive als Leitgedanken dienen – gerade diese Tatsache zum Anlaß nehmen, sich zu fragen, ob die Art und Weise des Verbrechens nicht bereits eine soziale und psychische Gestörtheit erkennen läßt, die weit außerhalb des Bereiches des ‹Normalen› liegt. Andernfalls müßte man folgerichtig schließen, die ‹normale Allgemeinheit› sei jederzeit solcher Verbrechen fähig.
    «2.) Ein unberücksichtigtes Problem ist die von Prof.   Prokop mit Recht geforderte genetische Prüfung (Karyogramm) auf XY Y-Chromosomen . Der Prozeß erweist jedoch die bisherige Begrenztheit des juristischen und des psychiatrischen Denkens, obgleich die geltende Strafprozeßordnung und das Strafrecht ausreichende Möglichkeiten bieten, solche Fragen in der Voruntersuchung zu prüfen. Das ist nicht geschehen und man fragt sich bei der Einmaligkeit des Falles, warum es unterblieb, so z.   B. die genauere Prüfung der unbewußten Beziehung Bartschs zu seiner Adoptivmutter und deren merkwürdigen Bedürfnissen. Die genauere Untersuchung solcher Faktoren wird aber offenbar von einer breiten Öffentlichkeit mit unberechtigten Exkulpierungsversuchen gleichgesetzt. Verharrt man jedoch auf der in Deutschland noch sehr verbreiteten ‹Anlagetheorie›, dann ist die mangelhafte genetische Prüfung gar nicht verständlich. Die Lage der Sachverständigen zeigt eine bedauerliche Einseitigkeit, deren Gründe offen bleiben müssen.
    «3.) Zu Rehabilitation: Die mangelhaften Möglichkeiten des Strafvollzuges, den psychischen Strukturgegebenheiten dieser Täterpersönlichkeit i. S. einer Resozialisierung gerecht werden zu können, offenbart ein weiteres Symptom des allgemeinen Immobilismus.Weder ein psychiatrisches Krankenhaus noch eine Strafvollzugsanstalt ist derzeit in der Lage, mit den vorhandenen Fachkräften eine Strukturänderung bei Bartsch zu erreichen. Obgleich seit Jahrzehnten immer wieder Täter dieser Art auftauchen, an denen im Extrem eine allgemein stets vorhandene Tendenz zum Sadismus erkennbar wird, ist weder hinsichtlich der Vorbeugung noch der sozialen Heilung irgend etwas Konkretes geschehen. Verbrechen wird vielmehr unverändert als ‹böse› verurteilt, ohne die Konditionierungen, die Auslöser und die Kriterien i. S. einer sozialen ‹Krankheit› genauer zu bestimmen, daß die indirekte (und direkte) Beteiligung der Gesellschaft durch ihre eigenen Wirkungen wahrgenommen und verändert werden könnte.
    «Dieser Mangel an ‹sozialer Verteidigungsbereitschaft› könnte darauf deuten, daß ein weitgehend unbewußtes Bedürfnis besteht, die unterdrückten, allgemeinen Grausamkeitstendenzen von exemplarischen Tätern agiert zu sehen, um sie durch deren Verurteilung zu isolieren und weiterhin verleugnen zu können. Es handelt sich also nicht nur um das allgemeine Vollzugsproblem, da Strafe noch keinerlei psychische Strukturänderung bewirkt, sondern auch um die mögliche Wahrnehmung der grundsätzlichen Gefährlichkeit unterdrückter, d.   h. nicht sozialisierter, verleugneter Triebregungen. Die Parallele zum Bartsch-Prozeß sind jährlich etwa neunzig Kinder, die von den eigenen Eltern in der BRD aus ‹erzieherischen Gründen› zu Tode geprügelt werden. Dazu gehören weitere zweitausend körperlich von ‹Erziehungsberechtigten› schwer mißhandelte Kinder, die

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