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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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nur die Erfahrungen und Einsichten aus meinen eigenen «Lehrjahren auf der Couch» . (Tilmann Moser). Damals kannte ich in Berlin keine Analytiker außer meinem eigenen, und nach Abschluß meiner Psychoanalyse zögerte ich, ihn mit dieser nicht dazugehörenden Angelegenheit zu belästigen. Auf eigene Faust habe ich alles Einschlägige gelesen, was ich finden konnte. Der Wendepunkt kam, als ich das 1954 erschienene Fachbuch
The Sexual Offender and His Offences   – Der Sexualstraftäter und seine Taten –
von Prof.   Dr. med. Benjamin Karpman entdeckte.
    Viele Jahre lang arbeitete Karpman als Direktor des St.   Elizabeth’s Hospital in Washington, eines psychiatrischen Krankenhauses, wo er zahlreiche Sexualverbrecher und Triebtäter untersuchte und behandelte. Auf diese Erfahrungen gestützt, stellte er einen langen Fragebogen zusammen, den er «psychogenic inventory» nannte. Diese Bestandsaufnahme der psychischen Voraussetzungen, die er bei jedem neu eingewiesenen Sexualverbrecher ausfüllte, um Zeit zu sparen, zusammen mit sehr vielen zusätzlichen Fragen von mir, die den speziellen Fall Jürgen Bartsch betrafen, bildete die Grundstruktur unserer Korrespondenz über die nächsten Monate.
    In diesem Kapitel habe ich – abweichend von den übrigen Teilen dieses Buches – aus gutem Grunde Auszüge aus Jürgens Briefen gesammelt und sie anders als ursprünglich geordnet. Die Fragen von Karpman entsprachen kaum denjenigen, die die Gefängnisbeamten bei ihrer Zensur der Häftlingspost gewohnt waren, und die Chronologie zeigt, daß sie meine Briefe in mehreren Fällen zurückhielten, ehe sie sie schließlich durchließen; das brachte die Reihenfolge von Jürgens Antworten völlig durcheinander. Hier erscheinen, zusammengerafft, die Hauptfragen des Fragebogensin ihrer ursprünglichen Reihenfolge mit Jürgens entsprechenden Antworten.
    Meine Anfangsschätzung von «etwa dreihundert» Fragen erwies sich im Laufe der Zeit als weit verfehlt: mit Neben- und Zusatzfragen wurden es an die tausend, ehe wir mit dem Fragebogen fertig wurden.
    ***
    Eine Bemerkung zum Schluß: Ich vertraue auf die Vorurteilslosigkeit meiner Leserinnen und Leser, sich im folgenden von meinem oft kuriosen Deutsch nicht irritieren zu lassen. Meine Adaptionen von Karpmans Fragen sind keine regelrechten, druckreifen Übersetzungen gewesen, sondern nicht mehr als Verständigungsformulierungen. Nachträglich meinen Stil kosmetisch zu liften wäre einer Verfälschung nahegekommen. Denn mein «Deutsch» bildete seinerzeit die Grundlage für Jürgens Antworten, die gelegentlich den schiefen Wortlaut der Fragen aufnehmen. Deshalb durfte hier nicht geändert werden. Wenn Jürgen mich verstehen konnte, dann muß das auch heute noch ausreichen.

7  Psychogenes Inventar des Jürgen Bartsch
    [Jürgens Antworten auf die letzten Fragen des Inventars stehen in seinem Brief vom 21.   Juli 1969, aber erst in seinem Brief vom 15.   Januar 1970 kamen die Antworten auf die Fragen   V./​26 bis 28 (korrigiert als 34) – vermutlich von der Kammer zurückgehalten. Die ersten Fragen hatte ich schon fünfzehn Monate früher – am 25.   Oktober 1968 – abgeschickt.]
     
    I.   FAMILIENGESCHICHTE
     
    1.   Erzähl mir bitte von Deinen väterlichen Großeltern – von Deinen eigenen, wenn Du kannst, sonst von den vier Eltern Deiner Adoptiveltern.
     
    Mutter meines Vaters: von ihr weiß ich nicht viel, ich habe sie nur gesehen, wenn wir mal in Neuß waren und unter Umständen auch sie besuchten. Sie ist sehr nett, aber sehr sparsam, wahrscheinlich muß sie es sein. Ich ging immer gern zu ihr. Sie erzählte immer von ihrem anderen Sohn, der mit dem Segelflugzeug im Krieg abstürzte. Weihnachten weinten wir immer zusammen, sie tat mir so leid, weil alle anderen sie immer «aufziehen». Vom Vater meines Adoptivvaters weiß ich gar nichts, nur mal ein Bild gesehen, und mit den Adoptiveltern sein Grab besucht.
     
    2.   Ungefähr dasselbe über die Eltern Deiner Mutter bzw. Deiner Adoptivmutter.
     
    Die Mutter meiner Mutter (Adoptiv) habe ich, sie wohnte auch in Essen, sehr oft besucht, meine Eltern hatten ja nie Zeit, bis zehn Jahre war ich jeden Tag mit ihr zusammen. Dann zog sie nach Werden, und wir besuchten sie später jeden Sonntag. Als sie mitihrem Mann (das war etwas früher, aber sie war schon in Essen-Werden) Goldene Hochzeit feierte, passierte das mit dem Sechzehnjährigen, der mich auf das Speicherzimmer mitnahm und die Sauereien mit mir machte. «Was

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