Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
damals ganz natürlich. Als eines Tages das Mädchen heiraten sollte und gehen mußte, konnte ich es nicht fassen, nicht begreifen, nein, das durfte nicht sein. Ich lag im Kinderbett, als sie es mir sagte, wir weinten beide furchtbar, ich wollte sie einfach nicht gehen lassen, und es hätte am Ende nicht viel gefehlt, und sie wäre doch geblieben. Das sind so Dinge, die man nicht vergißt.
6. Beschreibe bitte (a) Onkel bzw. Tanten, die bei Euch gewohnt bzw. Euch besucht haben und die in irgendeiner Weise für Dich oder im Leben Deiner Familie wichtig waren, so ungefähr wie Du über Deine Eltern geschrieben hast; (b) Ähnliches über andere Verwandte: Vettern usw.
Siehe oben.
II. FAMILIENSITUATION
1. Erzähl bitte ausführlich über Dein Leben zu Hause, die allgemeine Atmosphäre im Familienkreis, d. h.:
(a) Die Beziehung zwischen Deinen Eltern.
Darüber bin ich mir nie klar geworden, auch heute nicht. Sie streiten sich laut und verletzend, jeden Tag fast, aber sie können auch nicht voneinander lassen.
(b) Deine Eltern und ihre Beziehung zu Dir, auch die Unterschiede.
Natürlich leidet ein Kind darunter, ich bin meist allein auf meinem Zimmer gewesen, meine Eltern kamen da praktisch nie hinein, wollten es auch nicht.
(c) Die materiellen Zustände; der Einfluß des Geldes oder dessen Mangel, wahr oder eingebildet.
Wir lebten wie fast alle Familien des «gehobenen Mittelstandes». Wir waren sehr gut mit allem versorgt, nur, das muß der Wahrheit wegen gesagt werden, mußten wir, um diesen Standard zu halten, so viel und so lange arbeiten, besonders mein Vater, so daß wir von eben diesem Standard nichts mehr hatten, d. h. ihn nicht genießen konnten! (Später ging es ja abwärts durch meine Schuld, die Diebstähle.) Aber geht das nicht vielen Geschäftsleuten so? Ich hatte allerdings den Eindruck, daß zwar ich, nicht aber meine Eltern, hätten auf diesen Lebensstandard verzichten können. Das hat nichts mit Protzen zu tun, sie brauchen es innerlich, oder glauben, es zu brauchen. Ich selbst habe großes Verständnis dafür, denn wenn man sich einmal von ganz unten hochgearbeitet hat …
(d) Die Beziehung Deiner Eltern zur Religion (Überzeugung? Gewohnheit? usw.) und die Wirkung davon auf Dich.
Mein Vater ist religiös, aber geht fast nie zur Kirche. Meine Mutter glaubt wohl auch, sie versichert es, aber, so sagt sie, man muß dazu nicht in die Kirche gehen. Nur bei meiner Kommunion war sie dabei. Als Schulkind hat es mich befremdet, daß sie nicht zur Kirche ging. Heute freut sie sich sehr und weint, wenn ich ihr erzähle, daß der Pfarrer mit mir (als Meßdiener, darüber freue ich mich wahnsinnig) die heilige Messe hält. Ich bin in diesem Punkte also etwas verwirrt, weil ich es nicht ganz verstehe.
(e) Wichtig, weil bisher nur sehr wenig skizziert: die Familien«Aktivitäten»: Spiele, Erholungen, kulturelle Interessen, Lektüre usw.
Ein ganz großes NONSENS muß hierhin, denn ich kann mich nicht erinnern, mit meinen Eltern jemals richtig gespielt zu haben, wie andere Kinder. Über Literatur, Museen oder Ähnliches haben wir niemals gesprochen. Es war eben gefühlsmäßig (und also auch kulturell) mehr als kalt bei uns, es strich immer ein Hauch von Ungemütlichkeit, vom Eis, durch die Wohnung. Wir waren alle drei nicht recht fähig, einander irgendwann einmal zu sagen: «Ich hab dich lieb …» . [
Am linken Rand steht geschrieben:
«Damit meine ich das Alter von etwa 15 – 19 Jahre besonders, vorher war es allerdings auch nicht viel besser, Schläge und ‹Küßchen› . (Mutter) wechselten sich ab, was soll ein Kind davon halten?] Wir haben es auch nicht getan. Ob es anders gewesen wäre, wenn mehrere Kinder dagewesen wären? Ich weiß es nicht …
(f) die Wirkungen von Alkohol, von Glücksspiel, von gesellschaftlichem Aufwärtsstreben («social climbing») oder anderen ungewöhnlichen Faktoren, die das Familienleben beeinflußten.
Ich glaube nicht, daß irgend etwas aus dieser Frage überhaupt zutrifft, auch nicht das «gesellschaftliche Streben», denn meine Eltern wollten nicht mehr aufwärts, sie wollten nur halten, was da war, als das Haus erst mal stand, und, wie gesagt, über der wirklich zu vielen Arbeit trat natürlich die Familie zurück.
2. Hattest Du als Kind Deine Mutter oder Deinen Vater entschieden lieber als den anderen Elternteil? Wenn ja, bitte erklären.
Je mehr ich
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