Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
wollte auch nicht zu meinem Vater. Man hörte damals: «Bei Bartsch brennt die ewige Lampe – früh angefangen und überhaupt nicht aufhören mit der Arbeit, bis in den späten Abend rein.» Natürlich hat mir das nicht gefallen. Bei dem Meister van Loon in Altenessen, weil ich eben immer so früh Feierabend hatte, bin ich meistens mittags oder früh nachmittags in den Park gegangen oder in Altenessen rumgelaufen. Ich war immer auf der Kirmes, wie damals, als ich bei meinem Lehrer war. Ich bin praktisch genau so oft ins Hallenbad gegangen wie damals.
Jetzt bin ich allerdings ins Hallenbad gegangen schon mit sexuellen Gedanken, um mir die Jungs so ein bißchen anzugucken. Ich glaube, ich hatte noch keinen richtigen Plan, das kann ich mir nicht vorstellen, aber ich war mir jetzt schon bewußt, daß ich sie gern sehe. Ich habe sie beim Umziehen usw. beobachtet.
Oder ich bin ins Kino gegangen oder ins Kaufhaus, Hertie oder Woolworth. In jedem Kaufhaus habe ich mir die Ringe für Herren angeschaut. Die kleinen, ganz billigen, die nur zwei oder drei Tage lang teuer aussehen, bis die Goldfarbe abgeht, die habe ich mir immer gekauft.
Nach zwanzig Uhr sollte ich da beim Meister van Loon möglichst nicht mehr nach draußen, aber ich bin heimlich aus dem Zimmer abends rausgeschlichen. Ich bin in die Spätvorstellung gegangen – «Alarm für Sperrzone 7». Das war ein Film, den ich heute noch gern sehen würde, mit einem großen Ungeheuer, das aus dem Meer rauskam und alles kaputtrampelte und so. Als ich wieder in mein Zimmer kam, war es mir natürlich klar, daß kein Ungeheuer da war, aber ich hatte so ein mieses Gefühl, daß ich erst die Schränke und überall nachgucken mußte. Ich habe selber darüber gelacht, aber es war so. Ich war schon ein bißchen ängstlich.
Vielleicht bin ich mehr als einmal in die Spätvorstellung gegangen. Auf jeden Fall, einmal, als ich aus dem Kino rauskam, da stand die Meisterin vorm Kino und wartete auf mich. Da hieß es: «Na, morgen kommst du mal zu uns, da wollen wir uns mal unterhalten.» Aber am nächsten Morgen habe ich Angst gehabt. Ich habe gedacht: Wer weiß, was sie mit mir machen? An sich waren das sehr liebe Leute. Sie hätten bestimmt nicht viel gesagt. Sie hätten wahrscheinlich ein bißchen mit mir gebetet und sehr freundlich mit mir gesprochen, aber ich habe so Angst gehabt, weil ich eben doch schon manches erlebt hatte.
Und so bin ich einfach abgehauen, an dem Morgen um fünf, und bin in Richtung Langenberg mit dem Bus gefahren. Zu Hause war es wieder dasselbe wie damals, als ich aus Marienhausen zurückkam. Ich bin wieder im Wald gewesen, da ist auch wieder meine Mutter gekommen und hat mich aus dem Wald rausgeholt. Ich bin wieder zu dem Meister zurückgekommen, am selben Tag. Er und seine Frau haben es mir nicht übel genommen.
An dem Tag kam noch etwas dazu. Ich bekam jede Woche fünf Mark. Ich mußte sie zu Hause abgeben, aber diesmal hatte ich sie ausgegeben.
Ich bin nicht mehr abends weggegangen. Ich habe auch kein Geld mehr ausgegeben, was ich nicht ausgeben durfte. Ein paar Wochen später (insgesamt war ich höchstens zwölf Wochen dort) arbeitete ich in der Wurstküche. Da war auch ein Geselle, und der Schwachkopf hatte eine beschlagene Brille auf. Als er die Bude sauber machte, nahm er einen Eimer kochendes Wasser und kippte es durch die Gegend. Mir lief das kochende Wasser ins Stiefelbein rein. Ich mußte zum Arzt, ich konnte natürlich nicht mehr laufen. Das ganze linke Bein war ziemlich verbrannt, bis zum Knie. Ich bin sofort behandelt worden, dann mußte ich vielleicht drei Wochen zu Hause im Bett liegen. In diese Zeit fällt das zum ersten Mal rein, wo ich andere Kinder aus der Siedlung mit in die Höhle nahm, nachdem ich ziemlich genesen war.
Nach vier oder fünf Wochen bin ich nach Altenessen wieder zurückgefahren, aber nur für ein paar Tage. Dann ist mein Vaterplötzlich gekommen, aus heiterem Himmel, und hat gesagt: «Ich hole dich hier weg!»
Der andere Meister war richtig ein bißchen sauer. Er und ich sind nicht im Knies auseinandergegangen. Mein Vater hat mich da einfach weggeholt, weil er sagte: «Ich habe bei mir zu wenige Leute. Ich brauche dich selber.» Aber wenn Sie den richtigen Grund wissen wollen, nach Ansicht meines Vaters hatte ich zuviel Freizeit da. Das konnte mein Vater überhaupt nicht vertragen. Das ist in meinen Augen der Hauptgrund. Das hat er auch in meinem ersten Prozeß zugegeben.
Mein Vater hatte zu dem Zeitpunkt drei
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