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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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Angestellte. Ein paar Tage arbeiteten sie von morgens bis nachmittags, ein paar Tage von morgens bis ungefähr abends. Spätnachmittags wurde es immer. Aber beim anderen Meister durfte ich nachmittags raus. Mein Vater hat diese lange Arbeit meiner Ansicht nach absichtlich eingeführt, weil er sich sonst, wenn er mittags Feierabend gemacht hätte, fürs Familienleben hätte interessieren müssen. Das hat er nicht getan, und das glaubte er auch nicht zu können. Das ist meine Überzeugung. Solange er nämlich den ganzen Tag von morgens bis abends rumwerkelte, brauchte er mit niemandem über irgend etwas anderes zu reden oder sich um seine Familie zu kümmern. Er brauchte nicht mal zu fragen: «Ja, was machen wir jetzt?» Das ging alles weg, und er konnte außerdem noch jammern: «Ja, was ich alles mache, nimmt nie ein Ende!» usw. Dies Jammern hat ihm aber doch ganz schön Spaß gemacht, wenn Sie mich fragen. Für ihn gab es nur seine Arbeit, deswegen hat er ja die Arbeit in die Länge gezogen. Das macht er heute noch. Sich mal irgendein bißchen Gedanken über Familie oder Familienleben zu machen, das gibt es für ihn nicht.
    Auf die Idee, dagegen zu protestieren, weil mich mein Vater von dem Meister van Loon wegholte, bin ich überhaupt nicht gekommen. Ich meine, es ist heute noch so: Was meine Eltern sagen, das wird gemacht und fertig. Da nimmt man das als Naturereignis hin. Persönlich habe ich mir nie Besonderes dabei gedacht. Heute noch lasse ich mir schon allein deswegen manches befehlen undsagen, um nur völlige Ruhe zu haben. In mancher Beziehung befehlen mir meine Eltern noch genau wie früher: «Dem hast du letzte Woche nicht geschrieben, dem mußt du schreiben» usw.; «Der hat uns das und das geschrieben, der hat dir das und das gegeben, du mußt dich jetzt diese Woche eben bei ihm bedanken» – obwohl ich eigentlich vorhatte, das erst nächste Woche zu tun. Das sind in der Regel alles Kleinigkeiten gewesen, aber diese Dinge lasse ich mir heute noch genauso sagen und vorschreiben.
    Aber was meinen Sie, wie froh ich darüber bin, daß ich jetzt durch das staatliche Gewahrsam dem unmittelbaren Einfluß der Eltern entzogen bin! Ich bin nicht gern im Knast, aber immer noch lieber im Knast, als daß meine Eltern den ganzen Tag an mir rumfuhrwerken können. Ich würde es heute genauso hinnehmen, wie meine Eltern mir damals sagten: «Du trägst deine Armbanduhr nur sonntags», obwohl ich weiß, was das für ein Quatsch ist. Wenn meine Eltern mir heute z.   B. sagen würden (und meine Mutter sagt so was nicht, das brüllt sie meistens): «Diese Woche gehst du zum Friseur!» – ja Gott, wenn ich zu Hause geblieben wäre, dann wäre das ja heute noch so. Das wäre irgendwie selbstverständlich für mich.
    Natürlich habe ich des öfteren mal zu meiner Mutter gesagt: «Warte nur, bis ich einundzwanzig bin!» Soweit habe ich natürlich gewagt, etwas zu sagen. Dann hat meine Mutter natürlich gesagt: «Ja, ja, stell dir mal vor, einmal bist du sowieso zu dumm dazu, woanders zu existieren als bei uns. Und dann, wenn du wirklich nach draußen kommen würdest, dann wirst du schon sehen, du wirst nach zwei Tagen wieder hier sein.» Ich habe das da in dem Moment geglaubt, wie sie das sagte. Ich hätte es mir selbst nicht zugetraut, länger als zwei Tage draußen allein zu existieren. Warum, weiß ich nicht. Und ich wußte genau, daß ich mit einundzwanzig Jahren nicht weggehen würde. Das war mir sonnenklar, aber es mußte mal ein klein wenig Luft abgelassen werden. Aber daß ich das nun wirklich absolut ernstlich ins Auge gefaßt hätte, ist völlig absurd. Das hätte ich niemals getan.
    In den ersten Wochen beim Meister van Loon habe ich meistensnur Wasser durch Därme gelassen, den Wurstteig ein bißchen durchgemengt und ein bißchen Fleisch (Brät nennt man das) für den Fleischsalat geschnitten. Etwas Ernstliches habe ich da nicht gelernt, das war wohl zu früh.
    Als ich im Beruf anfing, habe ich nicht gesagt: «Das gefällt mir», ich habe auch nicht gesagt: «Das ist grauenhaft.» Ich habe an sich sehr wenig darüber nachgedacht. Ich habe gedacht: «Du mußt arbeiten, und da arbeitest du eben.» Als ich achtzehn oder neunzehn war, kamen andere Leute und sagten: «Ja, dein Vater und das Geschäft, und das alles soll mal dir gehören» usw. Du lieber Gott, habe ich gedacht, bis dahin können die Russen kommen!
    Ich habe nie so wie ein Meistersöhnchen gedacht: Eines Tages gehört das Geschäft dir. Im Gegenteil,

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