Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
möchte.
25. In beiden Schulen, erzähl von den Lehrern/Lehrerinnen, die einen besonderen Einfluß (positiv oder negativ) auf Dich und Deine Entwicklung hatten.
In Bonn, da kann ich mich nur an eine Lehrerin erinnern, Frl. Susanne Prim, sie war damals schon über sechzig. (Ich schreibe ihr heute noch, vor kurzem hat sie mir ein schönes Buch geschickt.) Sie war unsere Klassenlehrerin, auch heute wundert es mich noch, sie war nicht im geringsten streng, sie war eine der wenigen, die aus Güte Autorität zu machen vermögen. Auch lernte man bei ihr so leicht, als ob man spiele, das machte auch etwas aus, wir lernten gern bei ihr deswegen. Ausflüge machte sie oft mit uns, während der Schulzeit, im Sommer zu einer Quelle, und im Winter gingen wir zu einem großen Teich, es war verdammt schön.
Marienhausen, außer PaPü [Pater Pütlitz] erinnere ich mich noch an Pater Henninger, mein Lehrer in der 6. Klasse, ein sehr anständiger Mann, streng, aber doch gut. Er war vor kurzem alsMissionar aus Caracas zurückgekommen, gerade noch mit heiler Haut, da unten in Südamerika wurden die Missionare ja damals verfolgt, er war zwanzig Jahre lang dort gewesen. Er lebte sich schwer in unser Heim ein, die Härte, auch unter den Priestern, gefiel ihm nicht. «Nicht nur das Wetter hier ist kälter», pflegte er zu sagen, «in unserer Mission gab es diesen Zank und Streit nicht, dort lachten immer alle, hier nur auf Kommando.»
Mit dem dicken Religionslehrer, der ein ganz übler Schläger war, hatte er sich dauernd in der Wolle. Was mir bei P. Hemminger auffiel, war, das man es ihm anmerkte, wenn er wirklich mal einem eine Ohrfeige gab (und es verdammt nötig war), so tat er es nicht gern, es tat ihm selber, möchte ich behaupten, am meisten weh. Solche Erzieher können in dieser Beziehung, meine ich, doch nur positiv auf die Kinder wirken.
Der Diakon Hamacher. Wenn ich über ihn etwas sagen will, so würde ich ihn als Schauspieler aus Passion und Leidenschaft, viel zu leicht erregbar und Neurotiker bezeichnen. (Er war Aufpasser, kein Lehrer.) Man wußte nie, hatte man z. B. mal das strenge Silentium verletzt, ob er einem daraufhin einen Verweis geben oder einen fürchterlich verdreschen würde, er war ganz einfach unberechenbar. Er schlug oft, und wie, aber er hätte sich nicht wohlgefühlt, hätte er nicht jedesmal ein Drama daraus machen können. Nicht dünn, aber auch nicht dick, mit Brille, im schwarzen langen Talar und mit strohgelben Haaren, marschierte er, wenn die Prügel verabfolgt waren, im Saal auf und ab, warf die Arme in die Luft, und verstand es, aschfahl zu werden, nach Atem zu ringen, gleichzeitig zu schreien, so echt kurz vor dem Herzschlag. Aber dann ging es erst los: «Ins Grab bringen werdet Ihr mich noch, keine Minute Ruhe, ist ja kein Wunder, wenn man’s mit dem Herzen bekommt» – entsprechende Handbewegung zur linken Brustseite – «umbringen wird es mich, wenn ich noch ein Jahr diesen Rummel mitmachen muß, nein, nein, was soll das bloß noch geben, wie wird das enden …» . (Stolpert als «alter armer gebrochener Mann» aus dem Raum.)
Eine Stunde später ist er der fröhlichste Mensch im ganzen Bauund reißt Witze am laufenden Band. Es ging ihm also nicht etwa um’s Prügeln, sondern eine «Szene» täglich mußte sein. Er spielte natürlich Ostern ein Schauspiel auf unserer Bühne (übrigens schauspielerisch eine Glanzleistung!), den «Kirschblütenweg», und Fastnacht hält er in -zig Verkleidungen sämtliche Büttenreden, daß alle sich biegen vor Lachen. Der geborene Bühnenmensch. Und darum auch hatte er den Beruf verfehlt.
Pater Gaida war damals schon nicht mehr der Jüngste, aber das Muster eines zynischen Feiglings. Er machte Gott und die Welt lächerlich, war sehr streng und ungerecht (wenn z. B. in der Schule jemand was nicht kapiert hatte, so interessierte ihn das nicht), und er schlug nur im Verein mit andern, etwa mit PaPü, allein traute er sich vielleicht nicht.
Dr. Martin war der Direktor des Heimes, als ich kam. Wie meist, so hatte auch dieser Direktor wohl von manchem keine Ahnung. Er war eine Seele von Mensch, für ihn war es sicher gut, in einem Orden zu sein, draußen in der Welt wäre er zerbrochen, er war schlicht und einfach zu gut, als daß er dort hätte bestehen können. Aber auch in Marienhausen wurde er bald abgeschossen, er war den Kollegen wohl zu lasch und weich, sie werden ihm die Note «kaum genügend» gegeben haben.
Er wurde
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