Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
ganz für mich haben wollte. Das ging bis zum Schulende so, und, wäre ich draußen, würde es wahrscheinlich noch so sein, machen Sie was gegen Gefühle.
22. Erzähl von der körperlichen Strafe, die Du als Kind bekamst. Wie oft vom Vater? Von der Mutter?
Wie ich Ihnen schon sagte, bin ich von meinem Vater fast nie (als Kind niemals) geschlagen worden, von meiner Mutter als Kind mit den Kleiderbügeln, später auch mit Gegenständen, Bierflasche, die Sache mit dem M. usw.
[ «M.» = Messer = Fleischermesser.
] Die Reaktion meiner Mutter und von mir schilderte ich Ihnen ja sehr genau [in seinem Brief vom 1. Mai 1968], machen Sie sich bitte die Mühe und schauen nach? Haupterinnerung von Strafen ist meine Angst als Kind, wenn meine Mutter sagte: «So, jetzt hole ich den Kleiderbügel!»
C. Schulausbildung
23. In welchem Alter kamst Du zum erstenmal mit anderen Kindern zusammen? Wenn später als gewöhnlich, warum?
Als Kindergarten-Kind, aber nur ganz kurz, nur Tage, weil ich mich den anderen nicht anschließen konnte, etwa mit fünf Jahren. Bis dahin durfte ich fast nie raus, wegen dem Verkehr und weil die Leute hätten sagen können: «Du bist ja gar nicht von denen.» Vom Kindergarten weiß ich zwar noch das Aussehen der Brottasche, die um meinen Hals war, aber sonst weiß ich rein gar nichts mehr davon. Bei älteren Kindern fühlte ich mich sehrschwach, seelisch und auch körperlich (in den Knien!). Nun, wie Sie wissen, hatte ich Grund dazu.
24. Allgemeine Schulgeschichte, mit möglichst genauen Daten.
Gern hatte ich den Lehrer Hünnemeyer in der Volksschule 1. – 4. Klasse, er ist der einzige, den ich aus der Zeit überhaupt noch weiß. In Rheinbach im Heim die Volksschullehrerin Frl. Prim (damals schon etwa 70 Jahre alt), in Marienhausen und Zangenberg waren keine Lehrer zum Gernhaben, nur in der Berufsschule waren alle Lehrer in Ordnung, besonders der alte Lehrer Pelzer, dann der Klockenhoff und Veterinär Dr. Heisig (tot).
Als wir (1. – 4. Klasse) in Essen wohnten, kannte ich praktisch keines der Kinder näher – also außerhalb der Klasse, nicht eines. Später, in der Siedlung aus meiner Klasse, soviel ich weiß, aus meiner Klasse nicht, sonst wohl, aber die waren alle viel kleiner. Gespielt habe ich fast nur mit den H.s (den Fall kennen Sie ja) und dem Axel (kennen Sie ja auch). Wir spielten mal im Wald, Fangen usw. (ich war etwa 14 – 15 Jahre, die anderen 10, 11 und 6 Jahre), fuhren mit den Rädern, und waren viel auf meinem Zimmer und balgten, sahen Filme, hörten Platten usw. Am liebsten war mir der Axel, danach der kleine sechsjährige Peter (Sie sahen ihn bei Gericht), er war der Kleinste, er sah einfach «süß» aus, er war damals das «schöne Kind» in persona, und er sieht auch heute noch nicht nach vierzehn Jahren aus. Obwohl ich bei den dreien König war (als «Einäugiger», sprich «Ältester»), legte ich es nicht oft auf eine regelrechte Führerrolle an, es lag mir wohl nicht, obwohl ich es mir gewünscht hätte.
Ich mußte es hinnehmen, im Internat von meinen Eltern getrennt zu sein, ich hatte damals als Kind noch nicht einmal das «Heimweh», wie man es sich allgemein vorstellt und man es kennt. Mein Heimweh war nicht weniger schlimm als anderes, mir war es nicht unbedingt auf mein «zu Hause» ausgerichtet, sondern eher unterschwellig, schwellend, irgendwohin, wo es besser was als im Heim, aber nicht unbedingt nach Hause, dennso viel besser war es da nicht, mit der großen Leere und dem Lieben, aber es nicht zeigen können.
Damals war Letzteres nämlich noch so. Über eines darf kein Zweifel sein, natürlich wäre ich lieber zu Hause gewesen als im Heim. Die Trennung von meinen Eltern habe ich, wie jedes andere Kind, als eine Art bösen Traum erlebt, ist ja stets das Gleiche, was man da denkt: «Das kann doch nicht wahr sein; sie wollen Dich ja gar nicht mehr haben, hast Du das nicht manchmal schon gespürt?» Und die Angst vor dem Neuen, in Rheinbach ging das ja noch, da war alles eher familiär, aber in Marienhausen: «Mein Gott, gehst schon in die Knie wenn Du bloß zwei Jungens siehst, die Du nicht kennst, da auf dem Hof laufen über hundert herum, alle fremd, ein paar schauen schon so wild herüber, als ob sie kaum erwarten können, Dich zu verdreschen, ja, Angst hast Du, eine Memme, gib es ruhig zu …» Wie ein furchtbarer Traum, das Ganze, etwas, das man nie wieder erleben
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