Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
„Lisbeth“ wurde die erfolgreichste Single der Band. Aber sie wiederum erschien unter dem Namen „Malepartus II“, das aber war Peter Walliser, der wiederum hatte von Hans Podehl einen Vertrag bekommen, die King Beats nicht. Das bedeutete: Kein Geld und Ende der Zusammenarbeit.
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Flucht nach vorne. Mit der Schießbude nach England
Da saß er auf einer dieser Englandfähren, die den Duft der großen weiten Welt ausschwitzen, und fühlte sich auch so. Nicht wie der Duft, mehr wie das Schwitzen. Nasser Pappdeckel, im einzelnen zusammengesetzt aus Möwenschiss und Motoröl, abgestandenem Bier, kaltem Bratenfett, Pisse, Erbrochenem, destilliert aus Fish & Chips, Bacon und Baked Beans. Nur echt mit dem ockeren Glibber. Essen? Ach, Essen wäre auch nicht schlecht gewesen, aber der Blick in den Geldbeutel war der Blick in den Abgrund. Frühsommer 1967. Das Schiff schwankte, Jürgen nicht mehr. Gestern hatte er sich entschieden. Komisch, wie schnell das gehen konnte, wenn man so richtig sauer war. Im
Storyville
war er gewesen. Irgendeine Band, „The Thoughts“, auf der Bühne. Gut, es war nicht irgendeine Band, immerhin kannte er die Herren. Dennoch war das Entscheidende ihr Pass. In diesem Fall aus dem ganz profanen Grund, weil Engländer die angenehme Eigenschaft hatten, nach ihren Engagements wieder nach England zurückzufahren. Den Sänger hatte er angesprochen, einen Typen mit einer so eklatanten Nase, dass Pete Townshend Komplexe bekommen würde wegen Nasenzwergwuchs. Jedenfalls würde d e r nicht den Nasenwettbewerb gewinnen, den d i e s e r Typ tatsächlich mal gewonnen hatte. „Ich muss weg. Jetzt, hier, bevor ich es mir anders überlege …“, hatte Jürgen sich selbst seinen Tagesbefehl immer wieder vorgebetet wie ein Mantra. Jetzt bloß nicht die Wut verlieren. Auf, Zöller, gib dir einen Ruck. „Can I come with you, when you go back to England tomorrow?“ So einfach war das also gewesen. Und der Typ mit der Nase hatte einfach nicht nein gesagt. Sie hatten ja schließlich ihre Nasen auch schon vorher gemeinsam in ein paar Sachen gesteckt. Jürgen hatte die Wut nicht verloren, von wegen: Noch-mal-drüber-schlafen und all der Selbstbeschwichti-gungskokolores. Er hatte seinen Eltern das Auto vor die Tür gestellt und einen aussagekräftigen Zettel drangehängt: „Bin jetzt weg“. Er hatte sein Schlagzeug zusammengepackt, Instrument, Reisekasse, Lebensinhalt, und gerade rechtzeitig abbezahlt. Ein famoses Ludwig-Schlagzeug mit Koffern und allem Drum und Dran. Ab damit in den Bus der Engländer, ein alter rundlicher Ambulanz-Wagen. Dieses Auto hatte eine Seiten-Schiebetür, die blieb einfach auf, und die fünf Musiker und ihr durchgebrannter deutscher Freund setzten sich auf die Boxen. Für den unbefangenen Betrachter hätte es ein fast so erbaulicher und hoffnungsfroher Anblick sein können wie der erste Triumphzug von The Gears damals auf Weltttournee im Taunus. Nur minus Triumph.
Die überstürzte Abreise nach England war für Jürgen eine Niederlage. Scheiße, Scheiße. Die ganze Scheiße zog als Tonfilm durch seinen Kopf, da oben auf diesem Fährschiff-Deck. Es war doch alles so gut gewesen. Na ja, beinahe. Podehl war Vergangenheit, die „Plattenkarriere“ fürs erste auch. Aber hatten sie sich nicht geschworen, zumindest er, Rainer Marz und Richard Ungerath, dass sie es dann packen wollten als Profis? Dann nämlich, wenn Richard vom Bund zurückkäme. Jetzt, im Frühjahr 67. Jetzt hätte man wieder zu dritt irgendwo auf der Bühne stehen können, es wäre auch ohne Elmar Marz, den Ersatzmann, gegangen, wenn Richard mal nicht … ach, Mist. Sie hatten nichts anderes gebraucht. In den tollen Läden. Wie draußen im Wald in Zeppelinheim, 60–70 Leute und die Hütte war voll. Und dort war es immer abgegangen wie in der fröhlichen Erfinderwerkstatt, zwei-drei Tage hintereinander. Sie hatten sich in diesen Monaten musikalisch zu einem Klumpen aus blindem Verständnis, vorwärtstreibender Ideenflut und zornesadriger Zielstrebigkeit aufgeschwungen, hatten sich ihre eigene Rock’n’Roll-Variante erjammt, gehegt, gepflegt und immer lauter und selbstbewusster dem Volk um die Ohren gebrüllt. Hatte Jürgen jedenfalls gedacht. Die Richtung hatte gestimmt, die war auch in den Podehlschen Zeiten schon angelegt gewesen. Es hatte was von Dylan, es hatte ungestümen Rhytm’n’Blues, und es hatte ein bisschen Soul. Es kochte und zischte und schwappte nach allen Seiten über den Tellerrand. Singen konnten
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