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Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers

Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers

Titel: Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Zoller Selbst
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einzige Etablissement, in dem die Jugend es schütteln konnte. Der ganze Ring war zu der Zeit das Spiegelbild der Kölner Jugendkultur: Da war ein paar Häuser weiter das
Storyville,
eine Filiale des gleichnamigen Frankfurter Betriebes, wieder ein paar Häuser weiter bebte die
Moni Bar
unter den Klängen der Beat-Musik. Die hatte schon tagsüber auf und war der Treffpunkt der Teenager.
    Die Bedingungen im
Schwabinger Keller
allerdings waren ein Fall für Menschenrechtsorganisationen. Hier wohnte er stilvoll in einer stillgelegten Pension. Ein Zimmer, in dem ein Doppelbett stand, ein Schrank, eine Kommode, ein Nachttisch und eine Lampe. Das Doppelbett musste er mit einem türkischen Mitarbeiter des Betriebs teilen. Kurz nach Feierabend, nachts zwischen vier oder fünf, konnte es schon mal vorkommen, dass der Bezirksleiter der Betriebe türenschlagend einlief, um die Unterkunft nach gestohlenen Schallplatten zu durchsuchen. Um dann, ohne etwas gefunden zu haben, grußlos zu verschwinden. Ohne Erklärung, ohne Entschuldigung, als wäre das ganz normal so.
    Jürgen zog weiter, das Blatzheim-Imperium hatte auch in Bonn eine Dependance. Der Jimi Hendrix des dortigen Publikums allerdings heiß Adriano Celentano, und der Beat Club
Una Festa Sui Prati.
Und wenn es ganz schlimm kam, schwang man das auf Bügelfalte gelegte Tanzbein zu den eruptiven Klängen des Orchesters Ray Conniff. Der junge Schallplattenunterhalter sah sich unvermittelt auf der Flucht vor den Tänzern des Grauens. Auch die Quadratestadt Mannheim war irgendwie nicht London, auch nicht Frankfurt, und die letzte Station der Odyssee, Karlsruhe, gab ihm den Rest. Damals war die Badische Residenz offenbar wirklich das, was ihr Name versprach: Alle sahen aus wie Karl, und es herrschte brüllende Langeweile, die sich bleiern durch die sinnlose Kaiserstraße wälzte. Dem konnte er sich mit seinen Platten, die hier sowieso niemand hören wollte, nicht entgegenstemmen. Die Welt musikalisch von Karlsruhe aus weiterzubringen, der Plan war definitiv nicht realitätstauglich. Er aber wollte weiter in seinem selbstgewählten Segment des Wahnsinns leben. In Karlsruhe gab es keinen Wahnsinn und kein Segment. „Mein Gott, ich muss hier weg“, rief er die gerade aktuelle Freundin in Köln an. In Köln angekommen, holte sie ihn am Bahnhof ab. Mittellos bestiegen sie die Straßenbahn und wurden prompt ohne Fahrschein erwischt, zweimal fünfzig Mark. Eine triumphale Rückkehr sieht anders aus. In den darauf folgenden Wochen lebte er von Pillen, dann kehrte er nach Frankfurt zurück. Und dort lag der hässliche Brief.

9
Im falschen Film: Kanonier Zöller verteidigt das Vaterland
     
    Jürgen war wegen des Autounfalls zurückgestellt, aber jetzt hieß es schwarz auf weiß: Stillschd! Reeeschdsumm! Mrrrrsch! Der Marschbefehl, die Einberufung. Hier Ende des Gültigkeitsbereichs des Grundgesetzes. Vorsicht, Militärischer Sperrbezirk. Schusswaffengebrauch. Kinder haften für ihre Eltern. Im Januar 1968 rückte der Kanonier Zöller zum Grundwehrdienst ein. Weil der Trommler Zöller vorher zum wiederholten Mal nirgends auffindbar war, kam der Einberufungsbescheid so spät an, dass keine Zeit mehr blieb, Einspruch zu erheben oder den Kriegsdienst zu verweigern. Zur Bundeswehr gekommen. Warum zur Bundeswehr? Warum nicht auf den Mond, oder in ein großes Loch dampfender, eitriger, Blasen werfender Kacke gefallen? Besser wäre das gewesen. Er hatte einfach geglaubt, dass sie ihn nie, nie einziehen würden.
    In einem gesunden Körper wohnte ein gesunder Korpsgeist. Der gesunde Geist rannte durchs Gelände: Schppprungauffmrrrschmrrsch! Der gesunde Geist schmiss sich in den Dreck: Vollääääh … Deggg-gungckck! Der gesunde Geist stülpte ein weißlich-graues Leibchen mit einem aufgenähten schwarzweißen Bundesadler über seinen unwilligen vaterlandslosen Körper und rannte. 100 Meter, 1000 Meter. Der gesunde Geist rannte auch bei Eis und Schnee. „Otärrrr wollännn ßßßie ßisch verpissn, wss?“ Der gesunde Geist lernte schnell, dass Körperertüchtigung wahlweise nicht im Mädchenpensionat, nicht im Erholungsheim oder beim Sonntagskaffee stattzufinden hatte und zur Durchführung gebracht werden würde. Nach der Heeresdienstvorschrift. Deshalb wusste der gesunde Geist auch, dass sein wehrkraftzersetzender Körper ab 1,50 Meter Wassertiefe selbsttätig mit Schwimmbewegungen beginnen würde. Das war gut und beruhigend zu wissen. Im Winter (der ab sofort laut Vorschrift von Oktober

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