Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
eines Ausflugslokales, das den bürgerlichen Namen
Waldcafé
trug, der Volksmund nannte es seit eh und je
Café Klo.
Auf dem Balkon pflegte sein Besitzer, der drei Zentner schwere Herr Klo zu sitzen, neben ihm sein persönlicher Papagei, der sich bevorzugt in der Sprache der Kurgäste, meist Asthmatiker, artikulierte: „Mmprrrwäääh, phhhhijjj, Käää.“ Unten also, unterm
Waldcafé
war Bobby Bloom mit seiner neuen Disco
Top Cat
eingezogen. Bobbys eigentlicher und ausgeübter Beruf war Gangster. Er war der Typ, der es offenbar nicht nötig hatte, sich zu verstecken. Er prunkte und protzte. In der Garage unterm
Top Cat
stand sein persönlicher Rennwagen. Gut, „nur“ Formel V, dafür aber umso lauter. Dass der nicht zugelassen war, hinderte Bobby nicht daran, nachts ohne Nummernschilder durch den schlafenden Taunus zu donnern. Bald war der ganze Laden, das gutbürgerliche
Waldcafé
samt halbseidenem
Top Cat,
fest in den Händen gestandener Ganoven wie Bobby Bloom. Herr Klo hatte sich zur Ruhe gesetzt und das Café über der Diskothek „Hexe“, einem Zuhälter im Ruhestand überlassen. Zusammen mit seiner Gattin, die früher für ihn anschaffen gegangen war, und ihrem gemeinsamen Sohn führte er das
Waldcafé
weiter. Ihr Stammpublikum brachten sie gleich mit: Jedes Wochenende rückten die Frankfurter Loddels mit ihren Mädels an, nach einer gemütlichen Kaffeefahrt ins Blaue saßen sie auf Hexes Balkon und spielten Familie. Bei Schwarzwälder Kirschtorte und Käffchen trafen sich einige Jahrzehnte Zuchthaus zum entspannten Plausch. Zum verhexten Bekanntenkreis zählte auch die berühmtberüchtigte „Jaeger-Bande“. Henry Jaeger – der Boss – war in den wilden Aufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg ins Frankfurter Halunken-Milieu eingestiegen. Erst klein, dann immer größer: Nach zahlreichen Einbrüchen in Fabriken und Pelzsalons, Überfällen auf Juweliere und die Rentenzahlstelle war er 1956 für zwölf Jahre ins Zuchthaus eingefahren. Als Hexe das Waldcafé übernahm, war Jaeger mittlerweile zu einem von der Kritik gefeierten Autor zeitkritischer Romane avanciert. Schon im Knast hatte er zu schreiben angefangen und war 1963 begnadigt worden. Ein besonders gelungenes Beispiel von Resozialisierung, wie es scheinen mochte.
Trotz sonntäglicher Kaffee-Idylle in den sanft geschwungenen grünen Hügeln des Taunus konnte die Situation immer wieder schnell brenzlig werden. Plötzlich stand der „dicke Gerd“ vor der Tür, ein Kumpel, besser: ein Scherge von Bobby Bloom. Der dicke Gerd brüllte Unverständliches nach oben, seine kleinen Äuglein zogen sich scharfkantig zusammen überm dicken, unfreundlich wippenden, überhaupt unfreundlichen Schnurrbart, und Jürgen verstand intuitiv: Der provoziert Hexe, seinen Lieblingsfeind. Ein wütender Hass auf solider gegenseitiger Misstrauensbasis herrschte zwischen den beiden ehrenwerten Herren. Eine Sorte von mühsam erworbener gegenseitiger Abneigung, die meist nur mühsam unter dem Deckel gehalten werden konnte. „Ich bring dich um“, ließ Hexe sich jetzt eindeutig vernehmen, fuchtelte mit einer Pistole vom Balkon herunter und zielte unmissverständlich auf den dicken Gerd. Da schob sich ein weiterer stattlicher Bauch ins Bild und in die Flugbahn der drohenden Kugel: Bobby Bloom. „Schieß doch!“ rief er herausfordernd nach oben. Jürgen wollte gerade zu bibbern anheben, aber schon war Gerd wie vom Erdboden verschluckt, und Hexes Gattin Uschi trug die Pistole provisorisch zwischen ihren wogenden Brüsten versteckt von hinnen, wie einen lang vermissten Sohn. Entwarnung. So ging es zu im Wochenendrefugium des jungen Soldaten Jürgen Zöller. Aber eines machte ihm das Sitzen auf diesen Pulverfässern angenehm: Bei diesen Kerlen hatten Musiker einen immer gültigen Persilschein, grenzenlose Narrenfreiheit. Diese Gangster mochten ihn und Seinesgleichen, hier konnte er sich alles erlauben. Dafür durften sie auch mit ihren geladenen Pistolen vor seiner Nase herumfuchteln.
Jürgen hatte Nierenschmerzen. Das sah richtig gut aus, wie er sich da krümmte. Doch, diese Krankheit taugte was, die hatte er sich gut ausgedacht. Also marschierte er schmerzverzerrt und innerlich vergnügt zum Stabsarzt, wo ihm eine Urinprobe abverlangt wurde – in die er in einem unbeobachteten Moment einen selbst abgezapften Blutstropfen fallen ließ. Es funktionierte, der Arzt legte ihn auf drei Wochen ins Bundeswehr-Krankenhaus und schöpfte wohl auch den Verdacht, dass dieser junge
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