Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
bis März andauerte) wie im Sommer (April bis September).
Und doch rutschte der Körper aus, und knallte mit dem Hinterkopf, in dem sich der noch zu formende gesunde Geist befinden sollte, auf die Bordsteinkante. Der gesunde Geist schwappte unentschlossen in seiner Schale. „Zöller, stehen Sie auf!“ „Ich …“ „Wenn Sie krank sind, melden sie sich im San-Bereich. Simuliert wird nicht, nicht bei mir …“ Sagte der gesundeste Geist von allen, schon sehr feldwebelnd. Jetzt brüllte er. Kanonier Zöller brüllte zurück und witterte seine Chance, dem obergesunden Geist zu entkommen. „Das tut saumäßig weh …“ Weil es auch blutete, weil er auch seine ganze Krankengeschichte von der schweren Gehirnerschütterung damals aufbot, weil auch eine Beule sichtbar wurde, darum kam der Vorgesetzte seiner auftragsgemäßen Verpflichtung nach und schickte den Untergebenen ins Krankenhaus.
Im San-Bereich ging alles seinen geregelten Gang: Als „krank“ wurde man eingeliefert. Es folgten regelgerecht drei Wochen Langeweile ohne erkennbare Behandlung, zur Belohnung gab es anschließend eine Beförderung, der Status lautete nun „heimkrank“. Zurück in der Kaserne ging die Karriere im verschärften Marschschritt weiter: Jetzt „innendienstkrank“. Das bedeutete: Flur putzen, Dusche schrubben. Und weil das Sturmgewehr G 3 die Braut des Soldaten ist, ist ein ganz normaler Schrubber … „Hier, die Gummifotz! Und wenn’s nicht sauber wird, das ganze noch mal mit der Zahnbürste.“ „Innendienstkrank“ hatte ziemlich wenig mit Rock’n’Roll zu tun. Jürgen empfand sein Dasein bestenfalls als verschwendete Zeit, es juckte in der Musikerdrüse. Und wenn es „nur“ Plattenauflegen sein sollte und konnte.
Damals, als er nach dem Autounfall noch nicht wieder spielen konnte, war er wohl mehr zufällig in Schwalbach ins
Haus Mutter Kraus
geraten. Das war nun ein ganz normales bürgerliches Restaurant, hatte aber hinten im Garten einen Pavillon. Dort hatte er gesessen, ach was, residiert: Ein feister Typ hinter zwei Plattenspielern. Bobby Bloom war Boss im Pavillon, Gangster von Beruf, und doch musiknärrisch. Er hatte seine Informanten, er wusste, dass er es mit dem Drummer der King Beats zu tun hatte: „Dann bist du also der Typ, der bei
Beat Party in Stereo
getrommelt hatte, ziemlich klasse, die Scheibe …“ hatte er gesagt und gleich ein Angebot nachgeschoben: „Willst du nicht mal Platten auflegen? Du hast doch bestimmt musikalisch Ahnung.“ Jürgen hatte getan, wie ihm geheißen, bis er wieder trommeln konnte. Ach, damals. Jaja und soso.
Aber jetzt war es Nacht. Finsterste NATO-Nacht. Plötzlich flogen die Türen auf. Fahle Lichter geisterten, mittendrin Webelfratzen. „Alarm“ schrien die Webel mit violetten Gesichtern in die Stuben, ihre von Alkohol und Vaterlandsliebe geschwollenen Kampfschlagadern pulsierten ungut, eklige Schweißperlen standen auf ihren stets verteidigungsbereiten, von Einsatzbereitschaft entstellten Gesichtern. Der Tag des Grauens sollte nun beginnen, der Alptraum eines jeden Wehrpflichtigen. Jetzt würde gleich Krieg gespielt, dass die Knochen knackten. Winterkrieg, versteht sich. Vier Uhr morgens und die Russen kommen. „Sprrrungauffmrrrrschmrrrsch!“ Und los. Die Kompanie marschierte geduckt, fluchte schweigend und schlug die Hände bis zum Koppelschloss durch. Denn sie wussten: der Russe kann nur niederkartätscht werden, wenn der deutsche Soldat bis ins letzte Glied sauber und ordentlich die Hände bis zum Koppelschloss durchschlägt. Bei Baumholder wurde gerastet. Das, was die Webel Essen nannten, schneite augenblicklich ein. Marschverpflegung, Arschverpflegung. Weiter, „Sprrrungaufmmrrrrschm-rrrrsch!“ Jetzt wurde der gesunde Körper gefordert. Die Soldaten durften einen Fluss überqueren, das Sturmgepäck legte Gewicht zu. Die Webel rauchten feixend am Rande des Abgrunds, Reste von nicht komplett Erbrochenem mit schmutzigen Taschenmessern aus den gelbbraunen Zahnstümpfen puhlend, mit der freien Hand das Skrotum neu justierend. Das Gewehr wog bald nicht mehr vier, sondern vierzig Kilo. Pech für den, der ein MG mit dem Ausgangsgewicht von elf Kilo zu tragen hatte, das wog jetzt bereits hundert. Schütze Zöller landete zwischen zwei Steinen, die bewegten sich, die Steine, die Schweine. Pfratt! stand er mit den Füssen im Eiswasser. Das fing ja gut an. Die Kälte kroch, der Schütze lahmte. Am gegenüberliegenden Ufer des Flusses konnte er eine steile Böschung
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