Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
Band spielen, die hießen ‚The Light’ und wollten mich auch wirklich haben. Ich hab’ zwar nen gültigen Reisepass gehabt und alles, aber dummerweise haben die mein Gepäck gefilzt, und haben den Brief gefunden von der Band, in dem stand, dass ich einsteigen könnte. Dann haben sie gesagt: du deutsch, hier England, da läuft nix, also konnte ich gerade wieder zurückfahren“ Rainer erzählte, wie er in Oostende hängen geblieben war und dort zwei Typen kennen lernte, die in einer Band spielten. Das fand Jürgen ziemlich spannend. Immerhin war da noch einer, der genauso wild entschlossen war, dort zu spielen, wo die Musik spielte, und wenn man sich eben Schritt für Schritt nach England vorarbeiten musste. „Die haben übrigens keinen Schlagzeuger“, beendet Rainer seinen Vortrag. Zur Not eben auch Belgien. Tage später saßen Jürgen und Rainer im Buckel-Volvo des belgischen Rhythmus-Gitarristen Guy. Destination: Brüssel. Wenn er an den Bund dachte, dachte er: „Du kommst da raus, du kommst da raus“, es war ein Mantra, das er sich selbst vorbetete. Mit seinen neuen Bandkollegen kam er gut zurecht, sie spielten einige Gigs, aber das Ende des Urlaubs rückte näher. „Ich fahre jetzt zurück, in vier Wochen werde ich entlassen, dann bin ich wieder da“, sagte er den Jungs zum Abschied, ohne es wirklich selbst zu glauben. Er beschloss, sich selbst zu entlassen. Als er aus dem Zug ausstieg, war er schon zum Deserteur geworden und im Kopf auf der Rückreise nach Belgien. Die Kollegen in Belgien waren angemessen entsetzt, als er ihnen die Wahrheit berichtete.
„Sag mal, Charly, kannst du mich abholen?“ Charly konnte. Ein paar Wochen waren vergangen. Der Traum, sich über Belgien nach England durchrobben zu können, war geplatzt. Rainer Marz hatte sich längst abgesetzt, weil ein Angebot aus Frankfurt gekommen war: „The Rollicks“ wollten ihn haben, dort spielte Peter Hauke, der spätere Produzent von „Nektar“, „Jeronimo“, Supermax. Abholer Charly war einer der Büttel von
Top Cat
-Bobby. „Was ist denn los?“ wollte er erst wissen. Alles war bei ihm los, locker, aufgelöst und Jürgens Umfeld hatte ebenfalls ein paar Schrauben locker. Die Band war zerfallen, er war bei Guy rausgeflogen, dessen Mama und Oma ihm Unterkunft und Verpflegung hatten angedeihen lassen. Ein paar Straßenmusiker hatten ihm vorübergehend Asyl angeboten. Zusammen hatten sie am
Grand Place
Musik gemacht, einmal am Tag hatte es irgendeine Art Essen gegeben. Jürgen hatte eine Art Verschlag bei einem der Musiker bezogen. Der Ort war erfüllt von einer finsteren, grauen Dauersession. Typen kamen und gingen, spielten düsteres, unfrohes Zeug. Wie in Zeitlupe; sehr, sehr merkwürdig. „Gestern hab’ ich gesehen, wie der Typ, dessen Eltern das Haus gehört, sich eine Spritze gesetzt hat. Ich muss jetzt hier weg – also, wie sieht’s aus, Charly? Übrigens: ich bin auch vom Bund abgehauen“, beendete Jürgen seinen Notruf.
Charly, der Retter in der Not, rückte schnellstmöglich an mit einem roten Ferrari, dessen Auspuff kaputt war. Er überreichte Jürgen einen Reisepass, den er von irgendjemandem „geliehen“ hatte. Die Betonung auf irgend. Von irgendjemanden, der auch auf dem Passfoto aussah wie irgendjemand. Herr Müller oder Herr Meier, vielleicht sogar deren Frauen, Töchter und Söhne? Auf keinen Fall Herr Zöller. Der lud das neue Ludwig-Schlagzeug hinten rein, das er mit gepumptem Geld gekauft hatte, und dann ging es knatternden Auspuffs und angemessen muffensausend, aber erstaunlicherweise für die Grenzer völlig unauffällig zurück nach Deutschland. Schon wieder hatte Jürgen keinen Triumphzug hingelegt, aber immerhin: kein Zöllner wunderte sich über den Pass, kein Feldjäger stand mit Handschellen bereit.
Charly wusste ein gutes Versteck. Er brachte Jürgen zu einem der Kumpels von Hexe, einem Veteran der Jaeger-Bande, die immerhin den größten Postraub der Nachkriegsgeschichte in Deutschland inszeniert hatte. Hexes Kumpel hatten sich also standesgemäß ein großes Stück Land bei Hammelburg im Fränkischen gekauft. Darauf standen diverse Häuser, dominiert wurde das prächtige Ensemble vom großen Herrenhaus, um das sich sich frühere Stallungen gruppierten. Schließlich war man hier im ehemaligen Jagdgebiet des Reichsmarschalls Göring. Dort, mitten im Nichts, sollte eine Disco mit Hotel entstehen, die dann Stammlokal der ganzen Frankfurter Ehrenmänner und -frauen werden sollte. Für einen
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