Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
dem Frühstück wieder vergessen. Und so geschah es Tag für Tag.
Streiflichter, Schlaglichter, flüchtige Bekanntschaften, schnell weiter. Schlafen werden wir, wenn wir tot sind. Bis dahin war ja hoffentlich noch Zeit. Jürgen traf auch Bekannte aus Frankfurt. Wie, du hier? Cookie, der später in Frankfurt als Geschäftsführer den legendären Club
Zoom
übernehmen würde, wo alles, was Rang und Namen hatte, von Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre auftreten sollte. Hier war er genau wie Jürgen Discjockey, damals. Er stolperte über einen ehemaligen Arbeitskollegen aus der Flughafenzeit, er sah den Neffen seines Ex-Chefs aus der unfreiwillig beendeten Lehre. Tor-remolinos musste sich herumgesprochen haben, wenn die nun auch schon alle da waren.
Es gab nur eine spanische Band, die gut war, und die Jürgen interessierte in dieser Zeit: „Los Gong“. Natürlich schaffe er es wieder einmal frech wie Oskar, die Jungs von seiner Großartigkeit zu überzeugen, und behämmert wie er war, versaute er es auch gleich wieder. Als Mann von Welt und von der Torremolinos-Seuche der galoppierenden Labersucht befallen, erzählte er den höchst interessierten Spaniern von einem ganz wunderbaren Alleskönner am Schlagzeug, den er eigenhändig in Brüssel kennen gelernt hätte. „Der hat auch schon mit Champion Jack Dupree gespielt“, redete er sich in Rage, um seine Kenntnisse der Szene und insbesondere seine eigene Ahnung von allem und überhaupt zu unterstreichen. Dann hob er noch kenner- und gönnerhaft hervor, dieses Wundertier des Rockschlagzeugs habe just in Torremolinos angedockt, und er könne Ihnen, hahaha, wäre doch gelacht, den Weg zeigen und überhaupt. Die Spanier wiegten bedächtig die zerzausten Köpfe und waren nun absolut sicher, den richtigen Trommler gefunden zu haben. Und sein Name war nicht Jürgen Zöller.
Als er aufwachte, konnte er sich nur vage erinnern, was passiert war. Er musste lange geschlafen haben. Bruchstückhaft kam die Erinne-rung wieder. Er war eine Treppe hinuntergeschwebt … Nein, dieses Mal hatte es nicht funktioniert. Die Flügel hatten versagt. Er war also, verdammt noch mal, einfach hinunter gefallen. Wie jeder normale Mensch, der völlig am Ende ist, das genauso tun würde. Der Türsteher des
Le Fiacre
hatte ihn aufgelesen, ihm ordentlich eine reinge-semmelt. Der Mann war ein Freund gewesen, der hatte gesehen, dass er in einem Zustand war, aus dem er schleunigst herausgeholt werden musste. Und danach hatte er geschlafen. In der Konsequenz war er dann aus dem
Le Fiacre
rausgeflogen, wegen allzu heftigen Drogenkonsums. Und nun also der
Smugglers Saloon.
Kuscheliger, wohliger. Das war der Eindruck.
Smugglers Saloon
war eine große Kneipe mit einer ausladenden großen Bar, einem Kamin und Glastüren bis zum Strand hin. Ein Idyll mit weniger amerikanischen Soldaten, mehr Schweden und überhaupt angenehmeren Leuten. Hier machte Plattenauflegen wieder Spaß. Alles war möglich: Ein Abend nur mit Doors-Titeln ging genauso gut wie ein reines Beatles-Programm. Das Publikum im
Smugglers Saloon
hörte auch auf die Texte, alles hatte eine Bedeutung. Hier kam noch einmal alles zusammen, was Jürgen an Torremolinos so faszinierend fand: Eine ganze Generation weltweit war vom gleichen Gefühl getrieben, hatte eine ähnliche Weltsicht. Und vielleicht sogar eine ähnliche Idee, wie man die Welt verändern könnte. Die Musik war dafür ein gemeinsames Kommunikationsmittel, Schmierstoff, Treibstoff und Katalysator. Die süßesten Früchte waren nicht nur mehr nur für die großen Tiere, wie Peter Alexander 1956 gesungen hatte. Sie waren jetzt aus Musik und hingen auf Bäumen, die für keinen mehr zu hoch waren. Man musste nur schütteln. Und wie sie schüttelten, die Menschen in Torremolinos im Sommer 1969. Hier gab es auch keine großen Tiere. Hier waren alle gleich groß, zumindest fühlte es sich so an. Wenn man jemanden kennen lernte, war die gemeinsame Sprache das Erlebnis der zuletzt gehörten Platten. Sag mir, was du hörst und ich sage dir, wer du bist. Und umgekehrt: Jürgen hatte das Gefühl, alles, was er aus Texten herausgehört hatte, alle Gedenken, alle Gefühle, hier war es. Live. Diese Form der Kommunikation stellte eine oft kurze, aber intensive und alles andere als oberflächliche Beziehung zwischen Menschen her.
Jürgen merkte, dass er anfing, nachzudenken, über das, was er in den vergangenen Monaten erlebt hatte. Er konnte leben ohne all das, was man ihm beizubringen versucht
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