Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
Eier, danach wieder Pillen. Wundere dich aber nicht, wenn du von konvulsivischen Laber- und Kommunikationsanfällen heimgesucht wirst. Versuche nicht zu verstehen, was du bei Eintritt solcher Nebenwirkungen der Diät von dir gibst. Es ist meist belanglos, in jedem Fall aber unschädlich. Achte auch nicht auf Äußerungen deiner Gesprächspartner. Sie sind in der gleichen Lage wie du.
In diesem Jahr erschienen die richtigen Platten. Das weiße Album der Beatles;
Electric Ladyland
von Jimi Hendrix;
Astral Weeks
von Van Morrison;
Love, Moby Grape; James Brown Live at the Apollo; In a Gadda da Vida.
Die Menschen in Toremolinos hörten Musik, tanzten dazu, lebten die Musik. So kam es ihm vor, wenn er im
Le Fiacre
aus der stilisierten Kutsche guckte, in der hier zur Abwechslung mal die Anlage untergebracht war. Vergleichende Studien in weltweitem Ausdruckstanz ließen sich da anstellen: Zu hendrixschen Feedbackorgien oder dem Orgeldonner von Doug Ingles eisernem Schmetterling warfen sich junge Menschen in göttergleiche Posen. Es war der Versuch, das unterstellte Einswerden der Musiker mit ihren Instrumenten selbst nachzuerleben. War der Tanz zu Zeiten von „Beat Club“ und „Beat Beat Beat“ eine zwar hüftsteife, aber direkte Möglichkeit gewesen, Männer und Frauen geschlechtlich aneinander heranzuführen, so war nun eine kollektive Aufführung zwischengeschaltet: Man stellte sich aus, posierte, erregte Aufmerksamkeit, und irgendwann oszillierten infolge dieser gesamtkunst-werklichen Unternehmungen sexualisierte Cliquen, die bis dahin bloß in Denkerhaltung parallel über den Tanzboden geglitten waren, hinein in denselben erotischen Orbit. Die Luftgitarre, der weitestgehende Ausdruck männlicher Onanierkraft für Nichtexhibitionisten, war in jenen Tagen noch nicht zum Standardkulturgut geworden, oder überhaupt noch nicht erfunden. Man spielte die Gitarren sozusagen hinter vorgehaltener Hand. Man huldigte einem eher introvertierten Exhibitionismus. In langen wallenden Gewändern auf die Tanzfläche zu stürmen war das weibliche Pendant dazu. Setzte eine markante Phrasierung, ein erhebender Break aus den Boxen ein, rissen die Damen die Arme in die Luft und mutierten unter gespreiztem Tüll zu Hexen, Feen und Elfen. Was in Torremolinos ging, das war auch schon im Taunus gegangen. Electric Ladyland. Es war ein gutes Gefühl, alle diese wunderbaren Menschen mit der richtigen Musik versorgen zu können, befand Jürgen. Die richtigen Platten hatte er, und das
Top Cat
hatte ihm das nötige Rüstzeug mitgegeben. Das reichte fürs erste, um hier richtig zu sein.
Sich keine Gedanken zu machen über das Morgen war ein Gefühl, mit dem es sich für ein paar Monate gut aufwachen ließ. Wo, war dabei weitgehend egal. In Torremolinos gab es einen riesigen, dunklen, gepflasterten Innenhof hinter einem schweren Holztor, der direkt vom Treppenabgang zum Strand abzweigte. Die Atmosphäre des Hofes wurde bestimmt von einem reich bebilderten Altar, der wiederum mit einer schier nicht zählbaren Zahl brennender Kerzen umstellt war. Dem Durchwanderer dieser Szenerie öffnete sich am Ende seines Weges schon der Blick auf den Strand. Und auf einen Anbau mit Flachdach und Wassertank oben drauf. Dieser Flachbau war eine gute Adresse als spontane Absteige. In der Umgebung stationierte amerikanische GIs hatten ihn für wenig Geld gemietet. Soldaten, die hier den einen Teil eines Doppellebens führten: ihren Dienst hatten sie sich so eingeteilt, dass sie tagelang Hippie sein, drei oder vier Tage am Stück die Sau rauslassen konnten, um sich dann wieder dem Drill der Army zu unterwerfen. Die Army wusch ihnen im Gegenzug die schmutzige Unterwäsche. Immerhin waren diese Jungs nicht in Vietnam, die Army verschaffe ihnen ein geregeltes Einkommen, das auch ausreichte, um klamme Gäste durchzufüttern. Die Wohnungen waren perfekt eingerichtet, es gab genug zu trinken, und wer das Versteck kannte, hatte jeder Zeit Zugriff auf den unvermeidlichen, immer gut gefüllten Beutel mit Gras.
Soweit zu Drugs und Rock’n’Roll. Jetzt zu etwas völlig anderem: Sex. Viele Mädchen arbeiteten in der Gastronomie, ließen sich für eine Weile in Torremolinos nieder und waren meistens schon bei ihrer Ankunft Teil eines Paares. Feste Wohnung, fester Freund, diese Mädchen waren tabu. Der andere Typ war die allein reisende Erst-urlauberin, 20 Jahre alt, die für einen Sommer am Duft der großen abenteuerlichen Hippiewelt schnuppern wollte. Der „offizielle“,
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