Jugend
mit Lampen das zersplitterte Schanzkleid und die gebrochenen Brassen besahen. ›Aber wo ist der Kapitän?‹
Die ganze Zeit über hatten wir von ihm nichts gehört oder gesehen. Wir gingen nach achtern, um ihn zu suchen. Irgendwo mitten im Hafenbecken erhob sich jedoch eine klägliche Stimme und rief uns an: ›Judea ahoi!‹ … Wie, zum Teufel, war er nur dorthin geraten? … ›Hallo!‹ riefen wir. ›Ich treibe in unserem Boot ohne Riemen‹, rief er zurück. Ein verspäteter Fährmann bot seine Dienste an, und Mahon handelte mit ihm aus, er solle unseren Kapitän für eine halbe Krone längsseits schleppen; doch es war Mrs. Beard, die als erste die Leiter heraufletterte. Sie waren fast eine Stunde lang bei diesem kalten Sprühregen im Hafenbecken umhergetrieben. Nie in meinem Leben bin ich so verdutzt gewesen.
Anscheinend hatte er, als er mich ›kommt herauf‹ brüllen hörte, sogleich begriffen, was im Anzug war, hatte seine Frau gepackt, war an Deck gerannt, quer hinüber und dann hinunter in unser Boot, das an der Jakobsleiter festgemacht war. Nicht schlecht für einen Sechziger, was? Stellt euch vor, der alte Knabe rettete in seinen Armen heldenhaf die alte Frau – die Frau seines Lebens. Er setzte sie auf eine Ducht im Boot und wollte wieder an Bord zurückklettern; doch da hatte sich irgendwie die Fangleine des Bootes gelöst, und ab ging’s mit ihnen beiden. Natürlich hörten wir in dem Durcheinander seine Rufe nicht. Er blickte beschämt drein. Sie sagte fröhlich: ›Ich nehme an, es macht jetzt ohnehin nichts, daß ich meinen Zug versäumt habe?‹ ›Ja, Jenny – geh hinunter und wärm dich auf‹, brummte er. Dann sagte er zu uns: ›Ein Seemann soll sich eben nicht mit einer Frau einlassen. Da war ich also vom Schiff fort. Nun, diesmal ist kein Unheil geschehen. Lassen Sie uns den Schaden besehen, den dieser blöde Dampfer angerichtet hat.‹
Er war nicht groß, aber er hielt uns weitere drei Wochen auf. Nach Ablauf dieser Zeit brachte ich, da der Kapitän mit seinen Agenten beschäfigt war, Mrs. Beards Tasche an den Bahnhof und setzte die Kapitänsfrau bequem in ein DritterKlasse-Abteil. Sie ließ das Fenster herunter und sagte: ›Sie sind ein guter junger Mann. Wenn Sie John – Kapitän Beard – des Nachts ohne Schal sehen, dann erinnern Sie ihn in meinem Namen daran, daß er sich den Hals gut warm halten solle.‹ ›Aber gewiß, Mrs. Beard‹, sagte ich, ›Sie sind ein guter junger Mann; ich habe wohl beobachtet, wie aufmerksam Sie gegen John – den Kapitän sind …‹ Der Zug fuhr plötzlich an; ich zog die Mütze. Die alte Frau habe ich nie wiedergesehen … Die Flasche, bitte.
Am nächsten Tag gingen wir in See. Als wir diesmal nach Bangkok aufrachen, waren wir bereits drei Monate von London fort. Wir hatten mit ungefähr vierzehn Tagen gerechnet – als Äußerstes.
Es war Januar, und das Wetter war schön – schönes sonniges Winterwetter, das mehr Reiz hat als schönes Wetter zur Sommerszeit, weil es unerwartet kommt und die Luf dabei frisch ist, und weil man weiß, daß es nicht lange anhalten wird, nicht lange anhalten kann. Es ist wie ein Glücksfall, wie ein Geschenk Gottes, wie eine unverhofe Fügung.
Es hielt die ganze Nordsee hinunter und durch den Kanal an, bis wir etwa dreihundert Seemeilen westlich Kap Lizard standen; dann sprang der Wind auf Südwest um, und es begann kräfig aufzubrisen. Nach zwei Tagen hatten wir Sturm. Die Judea drehte bei und tanzte wie ein alter Kerzenkasten auf dem Atlantik. Es stürmte Tag für Tag: es stürmte tückisch, ohne Unterlaß, unerbittlich, rastlos. Die Welt war nur noch eine einzige Unermeßlichkeit großer, schäumender Wogen, die gegen uns anrollten, unter einem Himmel, der so tief hing, daß man ihn mit Händen hätte greifen können, und schmutzig wie eine verrauchte Stubendecke war. In dem sturmdurchrasten Raum um uns her war so viel fliegender Gischt wie Luf. Tag für Tag und Nacht für Nacht herrschte um uns her nichts als das Heulen des Sturms, das Toben des Meeres, das Krachen der Seen, die auf das Deck niederstürzten. Es gab keine Ruhe, weder für das Schiff noch für uns. Die Judea rollte, stampfe, stellte sich auf den Kopf, setzte sich auf den Stert, sie schlingerte, sie ächzte, und wir mußten uns festhalten, solange wir an Deck, und uns an unsere Kojen klammern, wenn wir unter Deck waren – in beständiger Seelenangst und Anspannung aller Körperkräfe.
Eines Nachts sprach Mahon durch das kleine
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