Jugend ohne Gott (German Edition)
niemand dritter dabei war, als die Tat geschah.«
Er setzte sich wieder, und der Z wirft einen kurzen, feindseligen Blick auf ihn.
»Es war keinerlei dritte Person dabei«, sagt er fest.
Da springt der Verteidiger auf: »Wieso erinnert er sich so fest daran, daß keine dritte Person dabei war, wenn er sich überhaupt nicht erinnern kann, wann, wie und wo die Tat verübt wurde?!«
Aber nun mischt sich auch der Staatsanwalt ins Gespräch.
»Der Herr Verteidiger will anscheinend darauf hinaus«, meint er ironisch, »daß nicht der Angeklagte, sondern der große Unbekannte den Mord vollführte. Jawohl, der große Unbekannte –«
»Ich weiß nicht«, unterbricht ihn der Verteidiger, »ob man ein verkommenes Mädchen, das eine Räuberbande organisierte, ohne weiteres als große Unbekannte bezeichnen darf –«
»Das Mädel war es nicht«, fällt ihm der Staatsanwalt ins Wort, »sie wurde weiß Gott eingehend genug verhört, wir werden ja auch den Herrn Untersuchungsrichterals Zeugen hören – abgesehen davon, daß ja der Angeklagte die Tat glatt zugibt, er hat sie sogar sogleich zugegeben, was auch in gewisser Hinsicht für ihn spricht. Die Absicht der Verteidigung, die Dinge so hinzustellen, als hätte das Mädchen gemordet und als würde der Z sie nur decken, führt zu Hirngespinsten!«
»Abwarten!« lächelt der Verteidiger und wendet sich an den Z:
»Steht es nicht schon in deinem Tagebuch, sie nahm einen Stein und warf ihn nach mir – und wenn der mich getroffen hätte, dann wär ich jetzt hin?«
Der Z sieht ihn ruhig an. Dann macht er eine wegwerfende Geste.
»Ich hab übertrieben, es war nur ein kleiner Stein.«
Und plötzlich gibt er sich einen Ruck.
»Verteidigen Sie mich nicht mehr, Herr Doktor, ich möchte bestraft werden für das, was ich tat!«
»Und deine Mutter?« schreit ihn sein Verteidiger an. »Denkst du denn gar nicht an deine Mutter, was die leidet?! Du weißt ja nicht, was du tust!«
Der Z steht da und senkt den Kopf.
Dann blickt er auf seine Mutter. Fast forschend.
Alle schauen sie an, aber sie können nichts sehen vor lauter Schleier.
Vor Einvernahme der Zeugen schaltet der Präsident eine Pause ein. Es ist Mittag. Der Saal leert sich allmählich, der Angeklagte wird abgeführt. Staatsanwalt und Verteidiger blicken sich siegesgewiß an.
Ich gehe in den Anlagen vor dem Justizpalast spazieren. Es ist ein trüber Tag, naß und kalt.
Die Blätter fallen – ja, es ist wieder Herbst geworden. Ich biege um eine Ecke und halte fast.
Aber ich gehe gleich weiter.
Auf der Bank sitzt die Mutter des Z.
Sie rührt sich nicht.
Sie ist eine mittelgroße Dame, fällt es mir ein.
Unwillkürlich grüße ich. Sie dankt jedoch nicht.
Wahrscheinlich hat sie mich gar nicht gesehen.
Wahrscheinlich ist sie ganz anderswo –
Die Zeit, in der ich an keinen Gott glaubte, ist vorbei. Heute glaube ich an ihn. Aber ich mag ihn nicht. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er im Zeltlager mit dem kleinen R spricht und den Z nicht aus den Augen läßt. Er muß stechende, tückische Augen haben – kalt, sehr kalt. Nein, er ist nicht gut.
Warum läßt er die Mutter des Z so sitzen? Was hat sie denn getan? Kann sie für das, was ihr Sohn verbrach? Warum verurteilt er die Mutter, wenn er den Sohn verdammt?
Nein, er ist nicht gerecht.
Ich will mir eine Zigarette anzünden.
Zu dumm, ich hab sie zu Hause vergessen!
Ich verlasse die Anlagen und suche ein Zigarettengeschäft.
In einer Seitenstraße finde ich eines.
Es ist ein kleines Geschäft und gehört einem uralten Ehepaar. Es dauert lang, bis der Alte die Schachtel öffnet und die Alte zehn Zigaretten zählt. Sie stehen sich gegenseitig im Wege, sind aber freundlich zueinander. Die Alte gibt mir zu wenig heraus, und ich mache sielächelnd darauf aufmerksam. Sie erschrickt sehr. »Gott behüt!« meint sie, und ich denke, wenn dich Gott behütet, dann bist du ja wohl geborgen.
Sie hat kein Kleingeld und geht hinüber zum Metzger wechseln.
Ich bleib mit dem Alten zurück und zünde mir eine Zigarette an.
Er fragt, ob ich einer vom Gericht wär, denn bei ihm kauften hauptsächlich Herren vom Gericht. Und schon fängt er auch mit dem Mordprozeß an. Der Fall sei nämlich riesig interessant, denn da könnte man deutlich Gottes Hand darin beobachten.
Ich horche auf.
»Gottes Hand?«
»Ja«, sagt er, »denn in diesem Falle scheinen alle Beteiligten schuld zu sein. Auch die Zeugen, der Feldwebel, der Lehrer – und auch die Eltern.«
»Die Eltern?«
»Ja.
Weitere Kostenlose Bücher