Jugend ohne Gott (German Edition)
Denn nicht nur die Jugend, auch die Eltern kümmern sich nicht mehr um Gott. Sie tun, als wär er gar nicht da.«
Ich blicke auf die Straße hinaus.
Die Alte verläßt die Metzgerei und geht nach rechts zum Bäcker.
Aha, der Metzger konnte auch nicht wechseln.
Es ist niemand auf der Straße zu sehen, und plötzlich werde ich einen absonderlichen Gedanken nicht mehr los: es hat etwas zu bedeuten, denke ich, daß der Metzger nicht wechseln kann. Es hat etwas zu bedeuten, daß ich hier warten muß.
Ich sehe die hohen grauen Häuser und sage: »Wenn man nur wüßte, wo Gott wohnt.«
»Er wohnt überall, wo er nicht vergessen wurde«, höre ich die Stimme des Alten. »Er wohnt auch hier bei uns, denn wir streiten uns nie.«
Ich halte den Atem an.
Was war das?
War das noch die Stimme des Alten?
Nein, das war nicht seine – das war eine andere Stimme.
Wer sprach da zu mir?
Ich dreh mich nicht um.
Und wieder höre ich die Stimme:
»Wenn du als Zeuge aussagst und meinen Namen nennst, dann verschweige es nicht, daß du das Kästchen erbrochen hast.«
Das Kästchen!
Nein! Da werd ich doch nur bestraft, weil ich den Dieb nicht verhaften ließ!
»Das sollst du auch!«
Aber ich verliere auch meine Stellung, mein Brot –
»Du mußt es verlieren, damit kein neues Unrecht entsteht.«
Und meine Eltern?! Ich unterstütze sie ja!
»Soll ich dir deine Kindheit zeigen?«
Meine Kindheit?
Die Mutter keift, der Vater schimpft. Sie streiten sich immer. Nein, hier wohnst du nicht. Hier gehst du nur vorbei, und dein Kommen bringt keine Freude –
Ich möchte weinen.
»Sage es«, höre ich die Stimme, »sage es, daß du das Kästchen erbrochen hast. Tu mir den Gefallen und kränke mich nicht wieder.«
Der Prozeß schreitet fort. Die Zeugen sind dran.
Der Waldarbeiter, die Gendarmen, der Untersuchungsrichter, der Feldwebel, sie habens schon hinter sich. Auch der Bäckermeister N und seine Gattin Elisabeth sagten schon, was sie wußten. Sie wußten alle nichts.
Der Bäckermeister brachte es nicht übers Herz, meine Ansicht über die Neger unerwähnt zu lassen. Er richtete heftige Vorwürfe gegen meine verdächtige Gesinnung, und der Präsident sah ihn mißbilligend an, wagte es aber nicht, ihn zu unterbrechen.
Jetzt wird die Mutter des Z aufgerufen.
Der Präsident setzt es ihr auseinander, daß sie sich ihrer Zeugenaussage entschlagen könnte, doch sie fällt ihm ins Wort, sie wolle aussagen.
Sie spricht, nimmt jedoch den Schleier nicht ab.
Sie hat ein unangenehmes Organ.
Der Z sei ein stilles, jedoch jähzorniges Kind, erzählt sie, und diesen Jähzorn hätte er von seinem Vater geerbt. Krank wäre er nie gewesen, nur so die gewöhnlichen harmlosen Kinderkrankheiten hatte er durchgemacht.
Geistige Erkrankungen wären in der Familie auch nicht vorgekommen, weder väterlicher- noch mütterlicherseits.
Plötzlich unterbricht sie sich selber und fragt: »Herr Präsident, darf ich an meinen Sohn eine Frage richten?«
»Bitte!«
Sie tritt an den Gerichtstisch, nimmt den Kompaß in die Hand und wendet sich ihrem Sohne zu.
»Seit wann hast du denn einen Kompaß?« fragt sie, und es klingt wie Hohn. »Du hast doch nie einen gehabt, wir haben uns ja noch gestritten vor deiner Abreise ins Lager, weil du sagtest: alle haben einen, nur ich nicht, und ich werde mich verirren ohne Kompaß – woher hast du ihn also?«
Der Z starrt sie an.
Sie wendet sich triumphierend an den Präsidenten: »Es ist nicht sein Kompaß, und den Mord hat der begangen, der diesen Kompaß verloren hat!«
Der Saal murmelt, und der Präsident fragt den Z: »Hörst du, was deine Mutter sagt?«
Der Z starrt sie noch immer an.
»Ja«, sagt er langsam. »Meine Mutter lügt.«
Der Verteidiger schnellt empor: »Ich beantrage, ein Fakultätsgutachten über den Geisteszustand des Angeklagten einzuholen!«
Der Präsident meint, das Gericht würde sich später mit diesem Antrag befassen.
Die Mutter fixiert den Z: »Ich lüge, sagst du?«
»Ja.«
»Ich lüge nicht!« brüllt sie plötzlich los. »Nein, ich habe noch nie in meinem Leben gelogen, aber du hast immer gelogen, immer! Ich sage die Wahrheit und nur die Wahrheit, aber du willst doch nur dieses dreckige Weibsbild beschützen, dieses verkommene Luder!«
»Das ist kein Luder!«
»Halt den Mund!« kreischt die Mutter und wird immer hysterischer. »Du denkst eh immer nur an lauter solche elende Fetzen, aber nie denkst du an deine arme Mutter!«
»Das Mädel ist mehr wert wie
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