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Juli, Die Viererkette

Juli, Die Viererkette

Titel: Juli, Die Viererkette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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bemerkte.
    Endlich kam der erlösende Gong. Alle packten ihre Taschen und stürmten auf den Schulhof hinaus. Training war angesagt. Das letzte Training im Teufelstopf vor dem so großen Spiel. Im Fahrradunterstand neben dem Pausenhof herrschte ein wildes Gedränge. Da fluchte ich plötzlich.
    „Verflixt! Ich hab meine Fußballschuhe vergessen!“
    Die anderen schauten mich an, als hätte ich meinen Kopf zu Hause gelassen.
    „Ja, ich weiß!“, schimpfte ich und gab vor, mich zu schämen. „Aber ich muss ja nur kurz nach Hause. In zwanzig Minuten bin ich wieder bei euch. Im Teufelstopf . Das verspreche ich!“
    Die anderen sagten kein Wort.
    „Hey! Was habt ihr denn?“, fragte ich. „Was ist denn los?“
    Da räusperte sich Fabi als Erster.
    „Ähm, ja, also, was für ’ne Schuhgröße hast du denn, Juli?“
    „Ich? 36! Aber wieso?“, fragte ich.
    „Ja, weil ich zufällig zwei Paar Schuhe mitgebracht habe“, lächelte Rocce, „Und zufällig hab ich dieselbe Größe wie du.“
    „W-w-wie bitte?“, stotterte ich. „W-w-was hast du da eben gesagt? Ich-ch-ch hab das nicht rich-rich-richtig verstanden.“
    Ich starrte entsetzt in die Gesichter meiner Freunde und bekam von allen ein Lächeln zurück.
    „Du kannst Rocces Schuhe haben“, erklärte Vanessa die selbstverständlichste Sache der Welt. „Also, was ist! Fahren wir endlich? Juli, du übernimmst heute die Spitze.“
    Wieder stand ich da wie vereist. Das war eine unvorstellbare Ehre für mich. Die Spitze des Fahrradpulks gehörte unangezweifelt Vanessa. Sie war der beste Fahrradfahrer des Teams. Sie gab das Tempo für die anderen vor, und sie gab auf dem Hügel vor dem Stadion den Befehl für den Sprint. Erst wenn einer von uns sie darin besiegte, durfte er an die Spitze des Pulks. Doch das, das wussten wir alle, würde höchstens passieren, wenn Vanessa mit zwei Gipsbeinen fuhr. Selbst Leon und Fabi, die sonst die Anführer waren, hatten trotz Schimpfen und Mosern von Vanessa immer eine Abfuhr gekriegt. Sie waren noch nie an der Spitze gefahren.
    Auch jetzt stänkerten sie, doch niemand wagte es, Vanessas Vorschlag zu widersprechen. Sie war, was Fahrradfahren betraf, der unantastbare Champ, und sie packte mich jetzt und schubste mich zu meinem Fahrrad hinüber.
    Ein paar Sekunden später raste ich an der Spitze der Wilden Kerle auf die Straße hinaus. Doch ich fühlte mich überhaupt nicht geehrt. Ich fühlte mich wie eine aufgeschlitzte Kaulquappe unter dem Mikroskop. Ich fühlte mich geröntgt und bis in die Zehenspitzen durchleuchtet. Die Blicke der anderen hinter mir brannten Löcher in meinen Rücken hinein, und durch sie hindurch konnten sie meine dunklen Geheimnisse sehen.
    Ich trat in die Pedale, als wollte ich diesen Blicken entkommen. Oh, wie ich sie hasste! Warum machten sie das? Ich dachte, sie sind meine Freunde, doch niemand misstraute mir mehr. Ich musste doch nur vor ihnen fahren, weil sie Angst davor hatten, dass ich mit dem Geld abhauen würde. Und, Kreuzkümmel und Hühnerkacke, wie sollte ich das, wenn sie mich nicht aus den Augen ließen? Wie sollte ich Joschka beschützen, und wie sollte ich vor ihnen verbergen, wo mein Vater herkam und wohin ich gehörte?
    Ich gab noch einmal Gas, und ich schämte mich. Ich war wütend auf alles und jeden. Ich wollte nur weg, und keinen einzigen Augenblick lang kam es mir in den Sinn, dass mir meine Freunde vielleicht helfen wollten. Ja, selbst die Fußballschuhe, die Rocce mir lieh, waren Misstrauen pur. Ich sollte nur nicht nach Hause fahren. Und die Hilfe heute Morgen, als sie wie schwarze Ninjas aus dem Himmel auf den Pausenhof sprangen? Hatten sie mich wirklich vor dem Dicken Michi beschützt? Nein! Oh nein! Das glaubt ihr doch nicht. Nein, sie wollten verhindern, dass er unser Geld bekam. Ihr Geld, meine ich, und damit wuchs meine Wut. Ich legte noch einmal zu, fuhr schneller und schneller, und als ich den Hügel vor dem Bolzplatz erreichte, schrie ich so laut, wie ich konnte:
    „Sprint!“
    Ich übersprang die letzten drei Gänge. Das Tor im Holzzaun, der den Bolzplatz umgab, schoss auf mich zu, und hektisch schielte ich nach rechts und links über die Schulter. Dort klebten Vanessa und Marlon an meinen Fersen. Doch sie kamen nicht an mich ran. Kreuzhühnerkümmelkack! Ich war doch tatsächlich zu schnell, und als Sieger zog ich beide Bremsen bis an die Lenkergriffe heran. Staub wirbelte auf. Kieselsteine schossen kreuz und quer durch die Luft. Mein Fahrrad bäumte sich unter mir auf

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