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Juli, Die Viererkette

Juli, Die Viererkette

Titel: Juli, Die Viererkette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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über Bordsteine, preschte eine Treppe hinab und legte mich wie ein Indianer seitlich ans Rad, um unter der Schranke hindurch zu schießen, die am Eingang zum Finsterwald stand.
    Noch einmal trat ich in die Pedale, lenkte mein Fahrrad ins Unterholz und verschwand endgültig vor den Blicken der Welt. Ich sprang über Wurzeln und Steine, duckte mich unter Ästen hinweg und erreichte die alte Ruine, die sich mit ihrem zerbrochenen Bogen wie eine Teufelsklaue vor mir in den Himmel erhob.
    Ich bremste, zog das Vorderrad meines Fahrrads wie den Kopf eines Pferdes hoch, tänzelte mit dem Hinterrad auf der Stelle und beobachtete die Ruine durch die Speichen hindurch. Nein, auch wenn ich jetzt ein Verräter war, würde ich meinen Stolz nicht verlieren.
    „Hey, Michi!“, rief ich. „Ich weiß, dass du dich hier versteckst! Ich rieche dich, hörst du? Ich rieche euch alle!“
    Für einen Moment war es still, doch dann zeigten sie sich. Von überall her krochen sie aus den Schatten hervor:

    Mähdrescher, Fettauge, Dampfwalze und Sense, Krake und Kong, der monumentale Chinese, hatten sich sogar Zweige und Äste zur Tarnung auf den Rücken gebunden. Dann erschien er. Ich bemerkte es zuerst an den Steinen, die plötzlich wie Regen vom Himmel fielen. Es waren Klinker- und Mörtelklumpen vom Tor, und das ächzte und stöhnte jetzt unter seinem Gewicht. Der Dicke Michi erschien, dunkel und schwarz erhob er sich gegen den Himmel, und mein Vorderrad dotzte mutlos auf den Boden zurück.
    „Wo ist das Geld?“, fragte er nur. Doch diese Frage traf mich wie ein Schlag ins Genick. Er traf mich und Vanessa, die sich in diesem Moment zwischen den Büschen versteckte und alles sah. Alles, auch dass ich jetzt in meine Hosentasche langte und die Mütze mit dem Geld herauszog.
    „Hier!“, hielt ich sie ihm hasserfüllt hin. „Hier ist das Geld! Aber ich warne dich, Fettsack! Wenn Joschka auch nur ein Haar gekrümmt wird, bring ich dich um!“
    Der Dicke Michi starrte mich an. Seine Laseraugen brannten und zwangen mich in die Knie. Doch ich wehrte mich. Ich hielt seinem Laserblick stand. Da lachte er mich einfach aus. Er hielt sich vor Lachen den Bauch, und im selben Moment stürzte sich seine Räuberbande auf mich, warf mich auf den Boden und riss mir das Geld aus der Hand.
    „Gott sei Dank!“, dachte ich. „Jetzt ist alles vorbei.“
    Doch ich irrte mich so wie Kolumbus, als er glaubte, dass er in Indien sei.
    Krake und Kong rissen mich hoch und hielten mich fest.
    „Was wollt ihr von mir?“, fragte ich so tapfer wie ein Hering, der einem Rudel Orkas ins Maul schaut.
    „Wir nehmen dich natürlich mit!“, beschloss der Dicke Michi und suchte nach einem Kran, der ihn vom Torbogen hievte. „Oder willst du etwa nach Hause?“
    Mit diesem Satz rutschte er mangels Kran wie ein Rhinozeros den Torbogen der Ruine hinab und schien die Steine, die sein mächtiger Hintern dabei losriss, gar nicht zu spüren.
    „Glaubst du wirklich, dass dich da ab heute noch jemand vermisst?“
    Der Dicke Michi beugte sich über mich und grinste mich an. Seine Laseraugen trafen mein Herz und hielten es mindestens zehn Sekunden lang an.
    „Jetzt war es also so weit“, dachte ich. Die Münze war auf den Boden geklatscht und liegen geblieben. Jetzt sah ich die Seite, die oben lag: die Seite der Unbesiegbaren Sieger.
    Ich wollte und konnte es nicht begreifen. Ich war wehrlos vor Schreck, und als der Dicke Michi den Befehl zum Aufbruch erteilte, marschierte ich brav mit ihm mit. Mit in die Welt, in die ich von jetzt an gehörte. Die andere Seite des Finsterwaldes, die Welt der Wilden Kerle existierte nicht mehr für mich.
    Daran konnte selbst Vanessa nichts ändern. Sie saß noch immer hinter den Büschen versteckt und schaute mir nach. Sie zerbiss ihre Lippen vor Wut, und ihre dunklen Augen glühten wie Feuer. Doch dann entdeckte sie das Geldstück vor ihren Füßen. Es war meine Glücksmark, und die kannte sie gut. Wir warfen sie vor jedem Spiel hoch, um Anstoß und Seitenwahl zu bestimmen. Ja, und so verächtlich wie Krake sie weggeworfen hatte, so behutsam hob Vanessa die wertlose Münze jetzt auf.

Am Ende der Welt
    Wir verließen den Finsterwald. Wir, das waren der Dicke Michi, seine Unbesiegbaren Sieger und ich. Wir stapften durch den Brennnesselwall und erreichten die Steppe an einem Punkt, den ich noch nicht kannte. Die Graffiti-Burgen lagen weit links von uns, und trotzdem zogen wir immer noch weiter von ihnen weg. Wie eine Horde Nomaden liefen wir

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