Juli, Die Viererkette
Kerlen zurück und grinste sie an: „Wozu sonst haben wir eine Flutlichtanlage?“
Der Ritt auf dem Drahtseil
Der Wind böte auf und zerrte die zwölf dumpfen Schläge der Kirchturmuhr zu uns auf die Steppe. Wolken jagten über den Himmel, und überall roch es nach Herbst. Doch die Unbesiegbaren Sieger schienen das nicht zu bemerken. Sie schwenkten die Tüten mit den Süßigkeiten aus dem Räubernest und grölten im Chor. Dazwischen giggelten die drei Cousinen des Dicken Michi. Nein. Das ist falsch. Es giggelten immer nur zwei, und die sahen dem Dicken Michi so ähnlich wie ein Eisbein dem anderen.
Aber die Dritte war anders. Ja, das musste sie sein. Sie lief nur still mit uns mit, und verflixt, sie schaute ständig zu mir herüber. Kreuzdings und Hühnerwas! Warum tat sie das nur, und warum wurde mir dann immer so warm?
Ich versuchte alles, um sie zu ignorieren. Doch selbst wenn ich wegsah, sah ich ihre Augen, ihre braunen, langen Haare und ihr Gesicht. Dann ging sie plötzlich ganz nah neben mir her, und ich zuckte zusammen, als sie mich zufällig streifte.
Doch so sehr ich mich dabei erschreckte, umso besser fühlte ich mich. Die roten Augen der Ratten, die um uns herumhuschten, sahen plötzlich wie Glühwürmchen aus. Der Herbstwind war jetzt so richtig erfrischend, und fast war ich froh, dass ich hier in der Steppe und nicht mehr im Teufelstopf oder auf Camelot war.
Ja, genau so, das wusste ich jetzt, hatten mein Vater und meine Mutter gefühlt, bevor sie der Finsterwald trennte.
Mir war plötzlich ganz leicht. Die Graffiti-Burgen erschienen am Horizont, und sie sahen überhaupt nicht mehr unheimlich aus.
Zur selben Zeit standen Fabi, Vanessa und Leon bei der Ruine im Finsterwald und banden Marlon mein Fahrrad auf den Rücken. Dann schwangen sie sich alle auf ihre Mountain-Bikes und fuhren durch den Brennnesselwall in die Steppe hinein. Die Wolken jagten über ihre Köpfe hinweg, und mit todernsten Mienen kämpften die vier gegen den Wind und nahmen Kurs auf die Graffiti-Burgen, nur um mich zu befreien.
Plötzlich zeigte Vanessa auf den rechten der Türme.
„Da! Seht ihr das? Was kann das sein?“
Neben der Graffiti-Burg sauste eine Sternschnuppe nach der anderen auf die Steppe hinab.
„Huiiii!“, heulte der Dicke Michi und „Hu-hu-hu-huiiii!“, kam das Echo von den Unbesiegbaren Siegern zurück.
Wir standen vor einem alten, ausrangierten Strommast aus Stahl und schauten zu Krake empor. Der Kerl mit dem Irokesenhaarschnitt und dem Spinnentattoo schaukelte zehn Meter über uns und zog jetzt die nächste, prall mit Süßigkeiten gefüllte Plastiktüte an einer Schnur zu sich hoch, hängte sie an einen Haken und ließ sie los. Die Tüte rutschte das Stahlseil entlang. In einem lang gestreckten Bogen sauste sie auf den nächsten Strommast zu, der 50 Meter weit entfernt neben der rechten Graffiti-Burg stand, und zog wie eine Sternschnuppe einen Funkenschweif hinter sich her.
„Huiiii!“, heulte der Dicke Michi und „Hu-hu-hu-huiiii!“, kam das Echo erneut von den Unbesiegbaren Siegern zurück.
Das Mädchen neben mir lachte, und ich lachte auch. Bei jeder Tüte schlossen wir unsere Augen und wünschten uns was. Doch ich wünschte mir immer dasselbe: dass mein Vater in den Teufelstopf kommen und mir beim Fußballspiel zusehen sollte. Doch Kreuzkümmel und Hühnerkacke! Wie weit war ich von diesem Wunsch schon entfernt? Selbst wenn ich meinen Vater hier finden würde. Ich könnte nie wieder zu den Wilden Kerlen zurück!
Da durchbrach die Stimme des Dicken Michi meine Gedanken.
„Hey! Huckleberry!“, rief er. „Jetzt bist du dran!“
Ich schaute ihn an, als würde ich träumen. Das war nicht sein Ernst! Der Strommast war doppelt so hoch wie die alte Holzbrücke, von der wir vor dem Spiel gegen die Bayern gesprungen waren. Und unter dem Stahlseil war nicht die Spur eines Kanals. Verflixt! Das war keine Mutprobe mehr. Das war komplett verrückt!
„Hey! Was ist los mit dir?“, rief der Dicke Michi.
„Ich dachte, du gehörst jetzt zu uns. Das willst du doch, oder?! Also. Dann beweis es mir! Das ist deine Aufnahmeprüfung. Hast du kapiert?“
Ich schluckte. Ich hatte die größte Angst meines Lebens, doch es gab kein Zurück, und mit einem letzten Blick auf das Mädchen, das neben mir stand, kletterte ich den ausrangierten Strommast hinauf.
Dort wartete Krake auf mich, und mit einem hämischen Grinsen reichte er mir einen Draht, an dessen Enden zwei Holzgriffe angebracht
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