Julia Ärzte zum Verlieben Band 36
wichtiger als seine Gefühle.“
Rafael wandte den Blick ab, jedoch nicht schnell genug. Annie hatte die tiefe Trostlosigkeit in seinen Augen noch gesehen.
„María lebt jetzt bei meiner Familie“, fuhr er fort. „Sie liebt meine Mutter, aber sie trauert noch um ihre eigene. Sie ist traurig – genau wie Sie –, aber es geht ihr von Tag zu Tag besser.“
Da, er sagt es schon wieder. Sieht man mir meinen Kummer so deutlich an? fragte sie sich. Oder konnte dieser Mann ihr ins Herz blicken?
Sie gingen die schmale Gasse hinunter, eingehüllt in den süßen Duft der Orangenblüten, der den Bäumen zu beiden Seiten des Wegs entströmte. Über ihnen spannte sich ein von Sternen übersäter samtblauer Abendhimmel.
Rafael fragte nach ihrer Arbeit, und sie erzählte ihm von Penhally Bay und vom Krankenhaus St. Piran. Er hörte aufmerksam zu, ehe er von seinem Alltag in Barcelona berichtete. Immer wieder klang durch, dass er das Landleben vermisste und es bedauerte, dass er seine Familie nicht öfter sehen konnte.
„Wie Sie jetzt wissen, lieben wir Spanier unsere Familie. Je größer, desto besser“, meinte er lächelnd. „Was ist mit Ihnen?“
„Ich habe einen Bruder und eine Schwester. Er lebt mit seiner Frau und seinen kleinen Kindern in Australien, und meine Eltern werden nach ihrer Kreuzfahrt für ein paar Monate bei ihnen wohnen. Meine Schwester lebt mit ihrer jungen Familie in Schottland.“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Sie sind zu beneiden, dass Sie Ihre Lieben so nahe bei sich haben.“
Wieder einmal hatte sie den Eindruck, dass ein Schatten über seine markanten Züge glitt, aber da lächelte Rafael. Wahrscheinlich hatte sie sich getäuscht.
„Nicht immer, das können Sie mir glauben. Meine Schwestern und meine Mutter wollen über mein Leben alles genau wissen. Dios , sie lassen mich nie in Frieden.“
Die Zeit verging wie im Flug, und schon standen sie vor Annies Wohnung. In den Fenstern der Häuser blinkte noch die Weihnachtsbeleuchtung und strahlte auf das Kopfsteinpflaster.
Annie wollte nicht, dass der Abend schon endete, und Rafael schien ein ähnlicher Gedanke gekommen zu sein. Er zögerte kurz und sagte dann: „Wenn Sie nicht zu müde sind, können wir uns noch in ein kleines Restaurant setzen. Es ist nicht weit, nur ein paar Minuten zu Fuß. Dort bekommt man die besten Tapas im ganzen Ort. Ich habe wieder Hunger und könnte einen guten Bissen vertragen. Möchten Sie mir nicht Gesellschaft leisten?“
Ihr Blick glitt über seine athletische Gestalt. Rafael hatte kein Gramm Fett zu viel am Körper. Wo ließ er bloß all das Essen?
„Warum nicht?“, antwortete sie. „Es ist mein letzter Abend, morgen muss ich wieder nach Hause.“
Er führte sie zu einer Tapas-Bar hinter der Kirche. Drinnen war es voll, aber an den Tischen draußen auf der Plaza saß niemand.
„Wollen wir uns hier hinsetzen?“, fragte Annie.
„Gern, wenn Sie möchten.“ Er zog seinen dünnen Pullover aus. Darunter trug er ein kurzärmeliges Hemd, das muskulöse, mit dichten schwarzen Härchen bedeckte Unterarme enthüllte. „Aber ich bestehe darauf, dass Sie dies anziehen.“
Widerspruch schien zwecklos zu sein, also streifte sie sich den Pullover über den Kopf. Er duftete schwach nach Rafaels zitronigem Aftershave und barg noch die Wärme seiner Haut. Natürlich war er ihr viel zu groß und rutschte ihr beinahe von den Schultern.
Annie hielt den Atem an, als Rafael sich vorbeugte, um ihr die Ärmel umzuschlagen. Die Geste hatte etwas Zärtliches und Erotisches zugleich. Ihre Haut prickelte wie von einem leichten Stromschlag, wenn seine langen, schlanken Finger ihre nackten Arme streiften.
Rafael betrachtete sie, und dann hoben sich seine Mundwinkel, und die feinen Fältchen in seinen Augenwinkeln vertieften sich. Es war ein langsames, verführerisches Lächeln, das Annie sofort in seinen Bann schlug. Wieder einmal kam ihr der Gedanke, dass sie noch nie einem so atemberaubend maskulinen Mann begegnet war. Ihr Herz klopfte schneller, und sie spürte instinktiv die Gefahr, wollte aufspringen und weglaufen, weit, weit weg. Gleichzeitig wusste sie, dass sie es nicht ertragen könnte, wenn er aus ihrem Leben verschwinden würde. Noch nicht …
Nachdem ihre Meeresfrüchte serviert worden waren, erschien es ihr selbstverständlich, dass Rafael sie immer wieder mit kleinen Häppchen Hummer oder Shrimps fütterte. Jedes Mal, wenn seine Fingerspitzen ihre Lippen berührten, durchzuckte es sie heiß. Lustvolle
Weitere Kostenlose Bücher