Julia Ärzte zum Verlieben Band 36
versichern. „Ich bin froh, dass ich helfen konnte.“
„Ich heiße Catalina“, stellte die andere sich vor. „Ich habe gehört, dass Rafael auch dabei war.“ Sie erhob sich auf die Zehenspitzen, um Annie über die Schulter zu blicken. „Wo ist mein Bruder jetzt?“
„Er hat Sofía und ihr Baby ins Krankenhaus begleitet. Sobald er dort nicht mehr gebraucht wird, kommt er hierher.“
Catalina zog einen Schmollmund. „Typisch Rafael, er hat immer zu tun. Er wollte bei uns ein paar Tage Ferien machen, trotzdem sehen wir ihn kaum. Pah! Aber da er sich um unsere Cousine kümmert, werde ich ihm nicht den Kopf abreißen.“
Und dann führte sie Annie in eine riesige Küche. Eine lange Tafel bog sich förmlich unter der Last der Speisen, genug, um fünf Großfamilien satt zu machen. Überall verteilt standen bunt glasierte Keramikschüsseln mit Obst und Oliven zwischen schwarzen Eisenpfannen voll goldgelber Paella, in Tomaten und Kräutern geschmortem Kaninchen und Tapas-Platten mit Hackbällchen, würziger Wurst, deftigem Schinken und blassgelbem Käse. Andere Gerichte wiederum kannte Annie nicht, aber bei dem köstlichen Duft lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
Bald saß sie inmitten der gastfreundlichen Familie und genoss die herzliche Aufmerksamkeit, die alle ihr entgegenbrachten. Es spielte keine Rolle, dass die Wenigsten Englisch sprachen. Wie sich herausstellte, waren die beiden jungen Männer tatsächlich Rafaels Brüder, und Catalina verriet ihr, dass sie noch zwei Schwestern hätten.
Die kleine María war, sobald Annie Platz genommen hatte, schüchtern lächelnd auf den Stuhl neben ihr gerutscht und wich nicht mehr von ihrer Seite. Annie sah sich am Tisch um und fragte sich, zu wem das Mädchen wohl gehören mochte. Aber da alle Kinder mit jedem vertraut schienen, fand sie darauf keine Antwort.
In einem stillen Moment, in dem niemand auf sie achtete, überlegte sie, wie es wohl wäre, Teil einer solchen Familie zu sein. Sofort überkam sie wieder die erdrückende Traurigkeit, und sie schloss rasch die Augen, um die Tränen zurückzudrängen. Dieses Glück würde sie nie erfahren.
Als sie die Augen wieder aufschlug, war Rafael da. Er betrachtete sie, die rabenschwarzen Brauen verwundert zusammengezogen. Sein Blick jedoch war so eindringlich, dass sie glaubte, er könne bis auf den Grund ihrer Seele sehen.
Gleichzeitig hatte sie den flüchtigen Eindruck, dass sich in der Tiefe dieser dunklen Augen ebenfalls ein Kummer verbarg, der ihrem nicht nachstand. Doch sie verscheuchte den Gedanken sofort wieder. Weshalb sollte dieser dynamische, attraktive Mann unglücklich sein? Soweit Annie es beurteilen konnte, besaß er alles, was man sich wünschen konnte. Ihr Blick schweifte wieder über die lebhafte Familie, die lachend und schwatzend das Festmahl genoss. Nun, zumindest alles, was wirklich zählte …
Er beugte sich über sie. „Nicht traurig sein, Annie Thomas“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Der Duft seines Aftershaves stieg ihr in die Nase, und sein warmer Atem auf ihrer Wange war wie eine Liebkosung. Ihr Herz machte einen Satz. Was war bloß an diesem Mann, dass sie sich in seiner Nähe wie ein schwärmerisch verliebtes Schulmädchen fühlte?
Sie konnte sich nicht erinnern, wann zuletzt ein Mann sie so sehr beeindruckt hatte. Ehrlich gesagt hatte noch keiner sie so fasziniert wie dieser hier … auch Robert nicht. Oder lag es an der spanischen Sonne und den zwei Gläsern Sangria, die sie zum Essen getrunken hatte? Was auch immer, sie freute sich jedenfalls unbeschreiblich, ihn zu sehen.
„Wie geht es Sofía?“ Annie hatte beschlossen, seine Bemerkung zu ignorieren.
„Mutter und Kind sind wohlauf“, antwortete er. „Sie bat mich, Ihnen noch einmal zu danken.“ Dann wandte er sich zu seiner Familie um, sagte etwas, und auf einmal erhoben alle ihre Gläser. „Auf Sofía! Auf Annie!“
Ein vielstimmiger Chor wiederholte seinen Toast, und alle Anwesenden lächelten Annie an. Verlegen ließ sie die Ehrung über sich ergehen. Rafaels breitem Lächeln nach zu urteilen, schien er ihr Unbehagen auch noch zu genießen.
Plötzlich wollte sie Abstand zwischen sich und diesen verwirrenden Mann bringen. Und zwar so viel wie möglich!
Hastig stand Annie auf und hätte dabei fast ihr Weinglas umgestoßen. „Vielen Dank für das Essen, aber ich muss jetzt gehen“, sagte sie atemlos.
Ihr Kreislauf dankte ihr die heftige Bewegung mit unerwarteter Benommenheit, und sie schwankte leicht. Sofort
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