Julia Ärzte zum Verlieben Band 37
sobald sie das Krankenzimmer verlassen hatten. „Fassen wir seinen Fall noch einmal kurz zusammen. Lo’ai, würden Sie bitte anfangen?“
Alle Ärzte des Teams, das gerade die wöchentliche Lehrvisite durchführte, richteten ihre Aufmerksamkeit auf den jungen Assistenzarzt. Nur Ghaleb, der mit verschränkten Armen im Hintergrund stand, konnte seinen Blick nicht von Viv lösen. Natürlich tat sie so, als sei er Luft. Sie hatte gänzlich aufgehört, ihn anzusehen. Und mit ihm zu sprechen. Selbst in der Öffentlichkeit. Seit zwei Wochen ging das schon so. Ihm war inzwischen klar, dass sie „nie wieder“ vollkommen wörtlich gemeint hatte.
Doch während sie mit ihm nichts mehr zu tun haben wollte, zeigte sie sich allen anderen gegenüber äußerst aufgeschlossen. Sie war überall dabei, und ihre Beliebtheit schien sogar noch zugenommen zu haben. Genau wie ihr Arbeitspensum. Sie arbeitete bis spät in die Nacht. Da Ghaleb sie nach wie vor in seinem Wagen mitnahm, musste er wohl oder übel genauso lange bleiben. Sam und Anna hatte er seit dem Campingausflug nicht mehr gesehen. Vivs Arbeitszeiten verhinderten eine solche Begegnung zuverlässig.
Bis gerade eben hatte ihre Hyperaktivität ihn wahnsinnig gemacht, doch plötzlich wurde ihm klar, was ihr Verhalten bedeutete. Es war der hilflose Versuch, ihn auf Distanz zu halten.
Er machte sie genauso verrückt wie sie ihn.
Sie mussten endlich miteinander reden!
Sein Entschluss stand fest. Er sah sie noch einige Sekunden lang an und konzentrierte sich dann wieder auf den referierenden Assistenzarzt.
„Es-Sayed Faisal Abulkhair, fünfundsechzig, Raucher.“ Lo’ai warf einen Blick in die Akte. „Er brach ohne Vorwarnung bewusstlos zusammen. Sein Hausarzt ordnete ein CT an, bei dem ein Aneurysma am Aortenbogen festgestellt wurde. Daraufhin veranlasste der Arzt eine Arteriographie, die Obstruktionen in zwei Zweigen zeigte. Eine Ventrikulographie zeigte ein weiteres Aneurysma.“
„Haben Sie alles verstanden?“, fragte Viv in die Runde und bekam von allen Seiten zustimmendes Gemurmel. „Gut. Dann dürfen Sie jetzt Fragen stellen, beziehungsweise Ihre Meinung sagen.“
„Wenn das CT schon für die Diagnose gereicht hat, warum hat der Arzt dann noch weitere Untersuchungen angeordnet?“, fragte Ablah, ihr jüngster Assistenzarzt.
Viv blickte in die Runde. „Wer kann Ablahs Frage beantworten?“
„Wahrscheinlich hat der Hausarzt sich die Akte noch einmal genauer angesehen und bemerkt, dass der Patient schon früher einmal einen Infarkt hatte“, vermutete Aneesha, eine junge und sehr vielversprechende Assistenzärztin.
„Großartige Frage, Ablah.“ Viv bedachte die beiden mit einem freundlichen Lächeln. „Und eine perfekte Antwort, Aneesha.“
Dann wurde sie wieder ernst. „Der Hausarzt hat getan, was auch wir immer tun sollten: jede Diagnose absichern!“
Einige Sekunden lang ließ sie diese Ermahnung im Raum stehen, bevor sie hinzufügte: „Dr. Ghaleb und ich werden den Aortenbogen ersetzen und gleichzeitig eine Ventrikelplastik einsetzen. Falls Sie nichts Besseres zu tun haben, können Sie gern bei dem Eingriff zusehen.“
Ghaleb trat vor. „Wir sind nun am Ende unserer wöchentlichen Visite, die dank Dr. Vivienne nicht nur sehr lehrreich, sondern auch ausgesprochen unterhaltsam war. Bis nächste Woche dann – und nutzen Sie die Zeit, um in Ihre Bücher zu schauen.“
Viv ging eilig und ohne ihn anzusehen davon. Einige der jungen Ärzte warfen Ghaleb verstohlene Blicke zu. Zweifellos fragten sie sich, wieso sie sich ein derart unhöfliches Benehmen erlauben durfte.
Ghaleb begegnete den fragenden Blicken mit demonstrativer Gleichgültigkeit und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Er wusste, dass die ganze Klinik darüber spekulierte, was zwischen ihm und Viv vorging. Natürlich wagte keiner, eine Bemerkung zu machen. Adnan hätte es ihm längst berichtet, wenn öffentlich über ihn getratscht wurde.
Im Grunde war es ihm gleichgültig. Sollten die Leute doch reden. Es störte ihn auch nicht, dass alle mitbekamen, wie Viv ihn mit Missachtung strafte. Er hatte es verdient. Er hatte alles verdient – sogar, sie zu verlieren. Doch er war nicht bereit, einfach aufzugeben. Es gab einiges richtigzustellen. Und er würde sich durch nichts auf der Welt davon abhalten lassen. Nicht, weil er nicht länger mit seiner Schuld leben konnte. Und auch nicht, weil er ihre Distanziertheit nicht länger ertragen und sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen
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