Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
getroffen. Nicht einmal zur großen Eröffnung ihrer Praxis.
„Okay, dann komm mit.“ Sie stand auf und musterte ihn, als würde sie lieber eine Kanalratte küssen, als ihn ihrer Familie vorzustellen. „Vergiss nicht, dass du darauf bestanden hast, mitzukommen, und ich dir das Drama ersparen wollte.“ Dann funkelten ihre Augen amüsiert. „Oh, und ganz nebenbei, Stadtjunge, es gibt dort Hühnerställe. Vier insgesamt. Hoffentlich hast du großen Hunger auf Mommas Hühnchen mit Klößen. Mmm, lecker.“
Darby zuckte zusammen. Ihre Mutter hatte nicht gerade ihr Shirt hochgezogen, weil sie Blakes Meinung zu den „Insektenstichen“ auf ihrem Bauch wissen wollte. Nicht am Esszimmertisch. Nicht vor der versammelten Familie. Und schon gar nicht beim Essen.
Doch genau das hatte Nellie Phillips getan, aber man musste Blake zugutehalten, dass er locker mit ihrer Familie umging – mit allen zweiundzwanzig Anwesenden, die überall im Farmhaus verteilt saßen. Tatsächlich schien ihn das typische Chaos im Hause Phillips zu amüsieren.
Während ihre Mutter dastand, ihr Shirt mit Blumenmuster hochgezogen, zeigte sie einen kleinen Streifen dicker weißer Baumwolle und viel blasse weiße Haut. Der untere Brustkorb war übersät von leuchtend roten Bläschen, die sich auf der linken Seite über den Rumpf verteilten.
Als Darby die „Insektenstiche“ sah, wurde die Peinlichkeit von Sorge verdrängt. „Bist du sicher, dass dich was gebissen hat?“
Blake untersuchte den Ausschlag. „Das sieht eher wie Herpes Zoster aus.“
Darby stimmte ihm zu. Diese entzündeten Stellen beschränkten sich auf ein einziges Dermatom und stammten nicht von einem Insekt.
„Herpes Zoster? Ist das was Ernstes?“, fragte einer ihrer Brüder und beugte sich vor, um seine Mutter genauer anzusehen. „Siehst du, Mom, ich hätte dich doch nach Pea Ridge zum Arzt fahren sollen.“
Nellie brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. „Mach dich nicht lächerlich. Herpes Zoster ist nur eine hochtrabende Bezeichnung für Gürtelrose.“
„Gürtelrose?“, fragte Darbys Vater von seinem Platz am Kopf der Tafel. Er stellte sein Glas Eistee ab und kratzte seinen ergrauenden Kopf. „Earl Johnson, ein Stück weiter die Straße hoch – erinnerst du dich an ihn, Darby? Er hatte im Frühling Gürtelrose. Habe meinen Hahn für ihn umgebracht.“
Weil sie wusste, dass Blake bestimmt nichts über Hausmittelchen für bestimmte Wehwehchen hören wollte, rutschte Darby ihren Stuhl näher an den Tisch heran und griff nach der Schüssel mit den Röstkartoffeln. „Mom, wie lange hast du den Ausschlag schon? Nimmst du etwas, um ihn auszutrocknen?“
„Erzähl Darby von den Anfällen, die du hast.“
Darby sah von ihrer Mutter zu ihrem ältesten Bruder und wieder zurück. „Welche Anfälle?“
Ihre Mutter winkte ab. „Nichts Schlimmes. Nur leicht stechende Schmerzen. Ich dachte, das kommt von den Insektenstichen.“
Sorge machte sich in Darby breit. „Was für Schmerzen? Fühlst du dich nicht wohl?“
„Mir geht es gut. Ich bin kerngesund.“ Ihre Mutter wich Darbys Blick aus und reichte stattdessen Blake die Schüssel mit dem Gemüse. „Meine Mutter hatte auch die Gürtelrose, und sie hatte noch große Schmerzen, nachdem der Ausschlag längst verschwunden war. Monatelang hat sie über ihre schmerzende Seite geklagt.“
„Schmerzen sind bei Gürtelrose normal.“ Blake nahm die Schüssel und musterte den Inhalt misstrauisch. Vorsichtig nahm er sich einen kleinen Löffel voll. „Sie sollten einen Termin bei ihrem Arzt machen, damit Sie ein antivirales Präparat und Schmerzmittel bekommen.“
„Ich mag keine Pillen. Mochte ich noch nie.“ Nellie lächelte Blake an. „Da bin ich wie meine Mutter.“
Ein kleines Mädchen kam in die Küche gerannt und kreischte, dass ihr Bruder seinen Saft umgekippt hatte. Rosy sprang auf, um sich darum zu kümmern, aber Nellie hielt ihre Schwiegertochter zurück. „Lass mich.“
Darby folgte ihrer Mutter ins Wohnzimmer und half ihr, die Saftpfütze aufzuwischen. Dabei musterte sie ihre Mutter. Die dunklen Ringe unter ihren Augen waren ihr vorher nicht aufgefallen – wahrscheinlich weil sie zu sehr damit beschäftigt gewesen war, sich über Blakes Reaktion auf ihre Familie und umgekehrt Sorgen zu machen. Ihr fiel auf, wie müde ihre Mutter aussah, sie bemerkte die tiefer werdenden Falten, das leichte Zittern ihrer Hand, als sie den Boden aufwischte.
Ihre Mutter hatte Gürtelrose. Das war nicht das Ende
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