Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
Meter weiter noch immer mit ihrem Mann telefonierte. „Penny hat offensichtlich Angst, ihrem Mann zu oft zu widersprechen. Und Howard hat natürlich auch seine ganz eigenen Probleme. Ich wette, vieles davon ließe sich lösen, wenn jemand sich die Mühe machen würde, allen zuzuhören und sie zu Wort kommen zu lassen. Wenn alle Menschen jemanden hätten, mit dem sie wirklich reden könnten, dann wäre die Welt ein besserer Ort, glaub mir.“
„Und mit wem redest du?“, fragte Edward.
„Mit meinem Bruder. Und meinen Großeltern.“
„Und deine Eltern?“
„Wir haben seit Jahren nicht miteinander gesprochen.“
„Weil du ihnen nicht vergeben kannst?“, fragte Edward nach.
„Es ist eben kompliziert.“ Sie zuckte die Achseln, das Thema war ihr sichtlich unangenehm.
„Nein.“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Das ist es nicht. Du musst einfach nur zum Telefon greifen. Kannst du dir vorstellen, was ich dafür geben würde, genau das noch einmal zu tun? Ein einziges Mal noch mit meinen Eltern zu sprechen? Das Leben ist manchmal kurz, Honey.“
Seine Worte hatten eine Wirkung auf sie, das konnte Edward deutlich sehen. Dann jedoch stöhnte ihr Patient leise auf. Honey griff nach seinem linken Handgelenk und prüfte den Puls.
„Leonard?“, sagte sie. „Kannst du mich hören?“
Zum ersten Mal reagierte er auf die Ansprache. „Mum?“
„Penny?“ Honey drehte sich um. „Kommen Sie her. Er kommt wieder zu sich.“
„Oh.“ Penny beendete abrupt ihr Telefongespräch und kam zu ihnen.
„Bleiben Sie ganz ruhig, wenn Sie mit ihm reden“, flüsterte Honey ihr zu. „Er sollte möglichst still liegen und sich nicht bewegen.“ Sie sah auf die Uhr. Es würde vermutlich noch einige Zeit dauern, bis der Rettungsdienst eintraf, und sie hatten nur einige Paracetamoltabletten, um Leonards Schmerzen zu lindern.
„Das Rettungsteam ist in Thredbo stationiert“, sagte Edward. „Sie werden wahrscheinlich eine Krankentrage im Sessellift transportieren. Unten wartet dann ein Rettungswagen.“
„Leo?“, sagte Penny. „Ich bin’s, Mummy.“
„Mum? Was ist …?“ Der Junge klang leicht panisch.
„Du hast einen Unfall gehabt, Leonard“, sagte Edward mit ruhiger Stimme. „Mein Name ist Edward, das ist Honey. Wir sind beide Ärzte und werden uns um dich kümmern. Es ist wichtig, dass du ruhig liegen bleibst. Hast du mich verstanden?“
Leonard wollte nicken, verzog jedoch das Gesicht vor Schmerz.
„Halt deinen Kopf ruhig“, sagte Edward.
Honey mischte sich ein: „Schätzchen, schau einfach zu deiner Mum. Sie ist für dich da und wir auch. Alles kommt in Ordnung.“ Sie griff unter der Decke nach Leonards linkem Arm, prüfte noch einmal den Puls und suchte dann mit dem Daumen nach einem bestimmten Punkt an seinem Handgelenk. „Schließ jetzt deine Augen. Du bist bei uns, und wir kümmern uns um dich. Alles wird gut.“ Sie sprach in einem langsamen, fast hypnotischen Tonfall. „Atme tief ein und aus.“
Leonard folgte ihren Anweisungen, seine Miene entspannte sich.
„Das machst du prima, Leonard. Es gibt keinen Grund, Angst zu haben. Alles wird gut, und wir sind bei dir. Dir ist warm, du hast keine Schmerzen und fühlst dich ganz entspannt.“
Leonards Atmung wurde ruhiger.
„Reden Sie weiter mit ihm“, flüsterte Honey seiner Mutter zu. „Sagen Sie ihm, dass Sie ihn lieben und dass alles gut wird. Kriegen Sie das hin?“
Penny sah sie an und nickte stumm.
„Sehr gut. Hier, nehmen Sie seine Hand und streicheln Sie sie. Das wird ihn beruhigen.“
Als Penny sich neben ihren Sohn hockte, stand Honey auf und streckte sich. Dann bemerkte sie, dass Edward sie nicht aus den Augen gelassen hatte. Er beobachtete sie mit diesem wachsamen Blick, den sie schon häufiger bei ihm gesehen hatte.
„Hast du den Patienten eben gerade hypnotisiert?“, fragte er ungläubig.
„Nein.“ Sie lächelte belustigt. „Ich habe nur Druckpunkte an seiner Hand genutzt, um ihn zu entspannen. Für eine Hypnose bin ich nicht ausgebildet.“
Edward erwiderte ihr Lächeln. „Bei dir würde mich nichts überraschen.“
Ihre Augen glitzerten grün. „Sehr gut, das höre ich gern.“
7. KAPITEL
Bald darauf trafen die Sanitäter aus Thredbo ein. Gemeinsam transportierten sie Leonard hinunter zur Sesselliftstation, wo der Rettungswagen bereits wartete.
„So, jetzt übernehmen wir.“ Sheldon, einer der Sanitäter, verabschiedete sich per Handschlag von Edward. „Ich hoffe, ihr könnt euren freien Tag dann
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