JULIA ARZTROMAN Band 26
den wenigen Gelegenheiten, wo sie ihn mit Melinda zusammen gesehen hatte, wirkte er nahezu glücklich.
„Gern“, antwortete er, zögerte und wandte sich an Ben, der neben Lucy getreten war. „Passen Sie auf sie auf, ja? Sie sieht müde aus. Wahrscheinlich arbeitet sie zu viel.“
Lucy sank das Herz in die Zehenspitzen. Was fiel ihm ein? Wenn das ihr Vater gehört hatte!
Zum Glück war er ins Gespräch vertieft, und Ben lächelte nur. „Keine Sorge, ich kümmere mich um sie.“
„Gut. Sie braucht jemanden.“ Dragan verabschiedete sich.
Die anderen folgten ihm, und um nicht mit ihrem Vater reden zu müssen, schob sie Ben zur Tür und schnappte sich unterwegs seinen Mantel.
„Willst du mich loswerden?“, murmelte er, als sie auf der Treppe waren.
„Überhaupt nicht. Ich versuche lediglich, dich von meinem Vater fernzuhalten, bevor ihr beide euch gegenseitig umbringt.“ Sorgenvoll blickte sie auf. „Ben, ich glaube, er weiß Bescheid.“
Er blieb auf der letzten Stufe stehen. „Meinst du?“
„Ja. Wir reden heute Abend darüber, okay? In einer Minute fängt meine Sprechstunde an.“
„Nein, du hast frei.“ Hazel hatte unfreiwillig gelauscht. „Und morgen auch. Chloe hat mich angerufen. Deine Patienten habe ich auf Marco und deinen Vater verteilt.“
Lucy wollte schon protestieren, schloss den Mund jedoch wieder. Für Marco tat es ihr leid, aber ihr Vater hatte es verdient! Lächelnd bedankte sie sich. „Du bist ein Engel.“
„Gern geschehen. Ach, noch etwas. Charlies Frau hat angerufen. Er hat die Operation überstanden und liegt jetzt auf der Intensivstation. Wie es aussieht, war es für ihn allerhöchste Eisenbahn. Gute Arbeit, Lucy.“
„Danke.“ Etwas leiser fügte sie hinzu: „Wenigstens etwas, das ich heute gut gemacht habe.“
„Du hast nichts falsch gemacht“, betonte Ben.
„Mein Vater sieht das anders. Ich war ja so wütend auf ihn.“
„Nicht. Er leidet.“
„Ben, er hat dich beleidigt! Das war üble Nachrede.“
„Entspann dich.“ Er zwinkerte ihr zu. „Wir sehen uns nachher bei mir. Ich fahre beim Supermarkt vorbei und hole uns etwas Leckeres mit viel Vitaminen und noch mehr Kalorien.“
Damit entlockte er ihr ein Lächeln. „Du bist lieb. Bis später.“
Mit langen Schritten verließ er die Praxis, überquerte den Parkplatz und stieg in seinen Wagen. Im selben Moment tauchte ihr Vater hinter ihr auf.
„Ich muss mit dir reden“, sagte er ernst, nahm sie beim Ellbogen und steuerte ihr Sprechzimmer an. „Wegen Carter“, fügte er hinzu, nachdem er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.
Aber Lucy hatte nur Augen für Ben. Er sah sie am Fenster stehen, als er den Wagen wendete, und winkte ihr zu. Bewundernd dachte sie daran, wie souverän er sich vorhin verhalten hatte. Ihr Vater hingegen … sie hätte ihn umbringen können!
Zitternd drehte sie sich um. „Du hattest kein Recht, ihm solche Sachen an den Kopf zu werfen. Und das vor allen Leuten! Er kann dich wegen Verleumdung anzeigen, und wofür das Ganze, Dad? Du weißt doch genau, warum Mum gestorben ist.“
„Du auch. Und wenn du dich von seinen Lügen blenden lässt, bist du nicht die Tochter, für die deine Mutter und ich dich immer gehalten haben. Hier kursieren ein paar üble Gerüchte, Lucy, die ich kaum glauben mag. Gib mir also keinen Grund, an dir zu zweifeln. Ich will nicht hören, dass dieser Bastard mein Enkelkind gezeugt hat!“
Tränen schossen ihr in die Augen, als sie ihn fassungslos anstarrte. Dann glitt ihr Blick zum Fenster. Ben war auf die Harbour Road abgebogen, aber sie könnte ihn noch einholen …
„Lucy! Lucy, bleib hier!“
„Nein.“ Sie fuhr herum. „Dieses Mal bist du zu weit gegangen. Der einzige Bastard in dieser Geschichte bist du – oh, und dein Enkelkind. Aber das werde ich ändern!“
Sie schnappte sich ihre Tasche, eilte nach oben, um ihren Mantel zu holen, dann die Treppe wieder hinunter. Ihr Vater stand noch immer an der Tür zu ihrem Sprechzimmer, aber sie gönnte ihm keinen einzigen Blick, sondern lief zu ihrem Wagen und fuhr los.
Zu Ben.
8. KAPITEL
Er war nicht da.
Natürlich nicht, er wollte ja noch zum Supermarkt.
Lucy schloss die Augen und ließ den Kopf gegen die Nackenstütze sinken. Sie hätte die Zeit besser nutzen und sich ein paar Sachen von zu Hause holen sollen.
Seufzend fischte sie ihr Handy aus der Handtasche. „Kannst du mir für morgen einen Slip mitbringen?“
Ben stieß einen Laut aus, der wie ein Aufstöhnen und Lachen
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