Julia Arztroman Band 62
ihn an. „Ich würde aber lieber mitkommen“, protestierte sie.
„Auf gar keinen Fall! Ich will, dass du hier im Warmen auf mich wartest.“
„Du riskierst da oben dein Leben. Was ist, wenn du nicht zurückkommst?“
„Ich werde zurückkommen“, versprach er ihr. „Weil es noch so vieles gibt, was ich dir sagen muss. Und außerdem wegen Toby, der uns beide so dringend braucht. Ich kenne mich in den Bergen genauso gut aus wie die Bergretter und bin extra für solche Notfälle ausgebildet. Ich kann die beiden Kids da oben genauso wenig sich selbst überlassen, wie du es könntest. Ich muss das machen, Libby.“
Da kam auch schon der Geschäftsführer des Hotels mit der notwendigen Ausrüstung für Nathan. Und wenige Minuten später war er bereits unterwegs, zusammen mit den beiden Bergrettern, nachdem er Libby zum Abschied noch einen langen Blick zugeworfen hatte.
10. KAPITEL
Als die drei Männer die Tür öffneten und in die Nacht hinausgingen, heulte der Wind noch stärker als zuvor. Danach saß Libby am Kaminfeuer in der Hotel-Lounge und hoffte inständig, der Sturm würde nachlassen.
In den vergangenen Jahren war es immer wieder vorgekommen, dass ahnungslose Touristen von starken Windböen von Felsvorsprüngen in tiefe, felsbedeckte Steinschluchten gerissen wurden und dort den sicheren Tod fanden.
Libby dachte daran, welche schrecklichen Sorgen sich die Eltern der beiden Teenager um ihre Kinder machen würden bei der Vorstellung, dass sie in ihrer Unerfahrenheit diesem Unwetter ausgesetzt waren.
Oder vielleicht wussten die Betroffenen auch noch gar nichts von den aktuellen Ereignissen.
Nachdem die Männer verschwunden waren, senkte sich Stille über den Raum, und Libby blickte ins Leere. Ihre Gedanken kreisten darum, wie nichtssagend und unbefriedigend der Abend bisher verlaufen war, der sich jetzt vollkommen verändert hatte. Jetzt ging es nur noch darum, für die sichere Rückkehr der Opfer und ihrer Retter zu beten.
Und wenn Nathan nun nicht mehr zurückkommt? fragte sie sich immer wieder. Und ich habe ihm nie gesagt, wie sehr ich ihn liebe. Wenn sie ihn nie wiedersah, wäre die Zukunft für sie nichts weiter als ein großes schwarzes Loch.
Die Hotel-Bediensteten versorgten Libby die ganze Zeit über mit heißen Getränken. Während die Stunden langsam und zäh vergingen, ließ der Wind allmählich nach, und auch der drohende Schneefall hatte noch nicht eingesetzt. Trotzdem hatte Libby keine Ahnung, wie es weiter oben auf den Bergen aussehen mochte.
Doch schließlich wurde die Eingangstür des Hotels aufgestoßen, und die zwei Männer der Bergrettung erschienen. Sie schleppten eine Trage herein, auf der ein in dicke Decken eingewickeltes junges Mädchen lag.
Ihnen folgte ein Junge im selben Alter, der ebenfalls in eine Decke gehüllt war. Und als Letzter kam auch Nathan ins Hotelfoyer.
Sobald sie ihn erblickte, tat Libbys Herz vor lauter Dankbarkeit einen Sprung. Nathan streckte ihr die Arme entgegen, und sie eilte zu ihm hin wie ein Vogel, der endlich heim ins Nest gefunden hatte. Als sie sich in die Augen blickten, war darin ihre Liebe füreinander klar und deutlich zu erkennen.
„Ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte er leise.
„Jetzt ja“, antwortete sie voller Freude. „Aber vorher nicht. Ich musste immerzu daran denken, wie es wäre, wenn wir uns nie wiedersehen würden, nachdem wir schon so viel Zeit verschwendet haben.“
„Ich auch“, sagte er ernst. „Als ich dich angesehen habe, bevor ich mit den andern beiden Jungs losgegangen bin, dachte ich, es könnte das letzte Mal gewesen sein, und dass ich dich womöglich nie wiedersehen würde. Wir haben so viel nachzuholen, mein Liebling.“
„Und alle Zeit der Welt dafür“, erwiderte sie sanft. Dann erkundigte sie sich: „Was ist mit dem armen Mädchen, Nathan? Ist sie verletzt oder zu unterkühlt zum Laufen?“
„Sie ist da oben gestürzt und hat sich das Bein verletzt. Sehr wahrscheinlich ist es gebrochen, deshalb konnte sie den Berg nicht mehr runtergehen. Und weil sie sich in der Kälte nicht bewegen konnte, ist sie außerdem unterkühlt. Wir müssen ihre Körpertemperatur am Kaminfeuer erhöhen. Aber langsam, damit sie nicht auch noch einen Kreislaufschock erleidet.“
„Und was ist mit dem Jungen?“, fragte Libby. „Er sieht schrecklich aus.“
„Ja, ich weiß. Er ist von all dem, was passiert ist, total traumatisiert. Er dachte, sie müssten sterben, als sie mit ihren Handys keinen Empfang hatten. Ich
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