Julia Arztroman Band 62
Dr. Humphreys ausrufen, ja?“
Während Rosie ins Stationszimmer eilte, nahm Gina sich die Krankenakte von Mr Jackson vor und las sie sorgfältig durch. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass sie sich gegen Miles am besten behaupten konnte, wenn sie genauestens über alle Details einer Krankengeschichte informiert war. Ganz am Ende der Akte fand sie den Hinweis, dass Philip Jackson sich vor drei Monaten einer Leistenbruch-Operation unterzogen hatte. Gina überlegte, ob dieser Eingriff für seinen momentanen Zustand verantwortlich sein könnte.
Als sie fünf Minuten später Miles durch den Flur heranmarschieren hörte, stöhnte sie leise auf, denn sie ahnte, dass er seinen Unmut wieder an ihr auslassen würde. Warum konnte er einfach nicht akzeptieren, dass sie kein Interesse an ihm hatte? Man konnte doch niemanden dazu zwingen , wie sie aus eigener Erfahrung wusste. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu Marco hinüber, und eine Hitzewelle stieg in ihr hoch, als sie merkte, dass er sie beobachtete. Eilig wandte sie sich ab und konzentrierte sich stattdessen auf Miles, der wissen wollte, was passiert war.
„Mr Jackson hatte wieder Atemprobleme“, sagte sie und spürte dabei, wie sich Marcos Blick in ihren Rücken bohrte. Weiß er inzwischen, wer ich bin? Bei der Vorstellung wurde ihr übel. Es stand außer Frage, dass seine Erinnerung allmählich zurückkehrte. Was sollte sie antworten, wenn er sich nach ihr und ihrem Leben erkundigen würde? Könnte sie Lilys Existenz einfach verschweigen … Durfte sie so tun, als hätte sie keine Tochter?
„Ich habe Sie etwas gefragt, Schwester. Wenn es nicht zu viel verlangt ist, hätte ich gern eine Antwort.“
Der Sarkasmus in Miles’ Stimme riss Gina aus ihren Gedanken. „Verzeihung, was haben Sie gesagt?“
Miles Humphreys starrte sie finster an. „Ich wollte wissen, ob irgendeine Ihrer Kolleginnen anwesend war, als der Patient über Atemnot klagte.“
„Nein“, erwiderte sie wahrheitsgemäß. „Rosie hat mich geholt, als der Monitor das Signal gab.“
„Verstehe. Offenbar geht es hier recht lax zu. Wenn Sie Ihren Patienten besser im Auge behalten hätten, Schwester Lee, wäre das nicht passiert.“
Gina verzichtete auf eine Antwort. Sie wusste, dass Miles nur darauf wartete, dass sie ihm widersprach. Die Tatsache, dass er selbst Mr Jackson entlassen hatte, schien keine Rolle zu spielen. Schweigend wartete sie ab, bis Miles den Patienten untersucht hatte. Mr Jackson sprach zwar auf die Sauerstoffgabe an, doch sein Blutdruck stieg nicht an, und er klagte zudem über Schmerzen in der Brust, besonders beim Atmen.
„Geben Sie ihm weiterhin Sauerstoff und behalten Sie ihn unter Beobachtung“, ordnete Miles an. „Ich denke ja, dass es nur eine erneute Panikattacke war.“
„Laut seinen Unterlagen wurde Mr Jackson vor drei Monaten am Bruch operiert“, gab Gina zu bedenken. „Könnte diese Operation Ursache für seinen jetzigen Zustand sein?“
„Ganz sicher nicht“, entgegnete Miles bissig. „Hätte es nach der Operation Probleme gegeben, wären diese früher aufgetreten. Ich schlage vor, Sie halten sich an Ihren Pflegejob, Schwester, und überlassen die Diagnosen dem qualifizierten Fachpersonal.“
Gina kochte vor Wut. Es war unheimlich demütigend, so abgekanzelt zu werden. Doch ehe sie Miles eine entsprechende Antwort geben konnte, mischte sich eine andere Stimme in ihren Disput.
„Die Schwester hat nicht ganz unrecht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Lungenembolie zum Beispiel auch noch Wochen nach einer Operation auftreten kann.“Gina wirbelte herum, und ihre Augen weiteten sich, als sie den grimmigen Ausdruck in Marcos Gesicht sah. Sein Blick galt jedoch nicht ihr, sondern Miles. „Ich an Ihrer Stelle würde den Patienten noch einmal einer Tomographie unterziehen, um eine Embolie auszuschließen.“
Jetzt stieg Miles die Zornesröte ins Gesicht. „Ich versichere Ihnen, dass keine Notwendigkeit besteht, sich da einzumischen, Mr …“
„Andretti. Dr. Andretti“, half ihm Gina auf die Sprünge, wobei sie den Titel bewusst betonte. „Dr. Andretti ist Spezialist für Unfallchirurgie“, setzte sie lächelnd hinzu.
„Oh, verstehe.“ Miles’ Gesicht färbte sich dunkelrot. „Vielen Dank, Dr. Andretti. Seien Sie versichert, dass ich Ihren Vorschlag überdenken werde“, polterte er.
Marcos finstere Miene blieb unverändert. „Sie täten gut daran, den Patienten sofort auf die Radiologie bringen zu lassen, anstatt noch länger
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