Julia Arztroman Band 62
nicht mit ihm ausgegangen, wenn ich romantische Ambitionen hätte, was aber nicht der Fall ist.“
„Ist er nicht dein Typ?“
„Nein“, versetzte sie knapp und hoffte, dass Marco sie jetzt nicht fragte, welcher Typ Mann ihr denn gefallen würde. Um von sich abzulenken, erkundigte sie sich nach seiner Familie.
„Meine Eltern sind beide tot, und ich bin auch ein Einzelkind. Ich habe zwar viele Verwandte, aber zu den meisten habe ich kaum Kontakt. Außer zu meiner Großmutter mütterlicherseits. Die alte Dame ist schon ein bisschen verwirrt und lebt in einem Seniorenheim in der Nähe von Florenz.“
„Gibt es in deinem Leben keine Frau, die dir etwas bedeutet?“ Die Frage war ihr so herausgerutscht, und am liebsten hätte sie sich dafür geohrfeigt. Das war absolut unpassend gewesen.
„Nein, keine.“ Marco senkte kurz den Blick, und als er sie wieder ansah, waren seine Augen so dunkel, dass sie nichts darin lesen konnte. „Abgesehen von Lily natürlich.“
Einerseits war Gina glücklich über diese Antwort, andererseits aber auch ein wenig enttäuscht, dass sie nicht zu den Frauen zählte, die ihm etwas bedeuteten. Sie räusperte sich. „Das freut mich zu hören. Denn ich habe den Eindruck, dass du Lily auch sehr wichtig bist.“
Jetzt lächelte Marco. „Ja, ich hoffe, dass sie mich irgendwann genauso liebt wie ich sie.“
„Lieben? Ist es nicht etwas zu früh, zu sagen, dass du Lily liebst?“
„Überhaupt nicht. Ich habe sie vom ersten Moment an geliebt.“ Er machte eine Pause, zögerte, doch dann fuhr er fort. „So etwas gibt es, Gina. Es kann einem passieren, dass man sich Hals über Kopf in jemanden verliebt … auch wenn man es gar nicht will.“
„Ist dir das schon früher einmal passiert?“, flüsterte sie mit klopfendem Herzen. „Mit Francesca?“
„Nein, Francesca und ich kannten uns schon als Kinder. Unsere Liebe wuchs mit den Jahren.“ Er griff über den Tisch und nach ihrer Hand. „Mit dir war es anders. Ich wusste gleich, dass ich mich in dich verlieben würde, wenn ich es zugelassen hätte.“
„Aber das wolltest du nicht?“
„Nein. Damals nicht … und heute auch nicht.“
„Also hast du die Liebe für dich abgehakt?“
„Es ist besser so. Die Trauer und den Schmerz, die mich nach Francescas Tod gequält haben, könnte ich nicht noch einmal ertragen. Deshalb habe ich mich entschieden, allein zu bleiben.“
Die Trostlosigkeit seiner Worte trieb Gina die Tränen in die Augen. Dass Marco es sich so entschieden versagte, noch einmal sein Glück zu finden, erschien ihr irgendwie nicht richtig. Gut, sie war auch nicht auf eine Romanze aus, doch ganz ausschließen wollte sie eine Beziehung nicht, zumal vielleicht die Chance bestand, dass Marco seine Ansicht doch noch ändern könnte …
Erst in dem Moment wurde Gina bewusst, wie aussichtslos ihre Situation war. Sie wusste, dass Marco nicht dort weitermachen wollte, wo ihre Beziehung damals geendet hatte – das hatte er ihr eindeutig zu verstehen gegeben. Was sie trotzdem nicht davon abhielt, sich das Unmögliche zu wünschen: das Happy End, das ihr vor drei Jahren versagt geblieben war.
„Es tut mir leid, Gina. Ich wollte dich nicht kränken. Du hast ein weiches Herz.“ Mitfühlend streichelte er ihre Hand, und das Gefühl seiner Finger auf ihrer Haut jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Rasch zog sie ihre Hand zurück.
„Meine Mutter hat immer gesagt, ich sei ein Seelchen.“ Obwohl sie innerlich zitterte, lächelte Gina tapfer, um ihre Gefühle zu überspielen. „Selbst bei den kitschigsten Liebesschnulzen fange ich an zu heulen …“
„Du bist eben sehr sensibel“, murmelte Marco und wirkte auf einmal seltsam bedrückt.
„Stimmt etwas nicht?“
„Nein, alles bestens.“ Abrupt stand er auf. „Ich sollte mich jetzt doch an meinen Papierkram machen. Ciao , Gina. Ich hoffe, der restliche Abend wird weniger stressig.“ Ohne sich noch einmal umzublicken, ging er hinaus.
Verwundert überlegte Gina, warum er plötzlich so verändert gewesen war. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Oder hatte er sich plötzlich an etwas erinnert, das mit Francesca zu tun hatte? Es war für ihn sicher nicht einfach gewesen, seine wiedererlangten Erinnerungen noch einmal neu zu durchleben. Besonders nicht den Verlust seiner geliebten Frau, der sein Leben zerstört hatte …
Gina musste an sein Geständnis denken, dass er sich beinahe in sie verliebt hätte … Aber das war wohl etwas anderes gewesen. Er hatte mit ihr
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