Julia Arztroman Band 62
wünschte ihrer Kollegin einen schönen Feierabend und machte sich an ihre Arbeit.
Dem Übergabeblatt entnahm sie, dass vor Kurzem ein Patient mit schweren Magenkrämpfen eingeliefert worden war, nämlich Adam Sanderson, Alter achtundzwanzig Jahre. Sie fragte Rosie, welcher Arzt an diesem Abend Dienst hatte – wie sich herausstellte, war es Miles. Gina piepste ihn auf seinem Pager an und machte sich dann mit dem Aufnahmebogen auf den Weg zu Adam Sanderson.
„Hatten Sie, abgesehen von den Krämpfen, noch andere Symptome?“, fragte sie ihn.
„Ich musste mich ein paar Mal übergeben und hatte auch Durchfall“, erklärte er etwas beschämt. „Meine Freundin meinte, es könnte von dem Curry kommen, das ich am Abend zuvor gegessen habe, aber das glaube ich nicht. Ich vertrage eigentlich so einiges …“ Stöhnend presste er die Hand auf seinen Bauch.
Gina lächelte mitfühlend. „Sobald der Arzt Sie untersucht hat, bekommen Sie etwas gegen die Schmerzen. Ah, da ist er ja schon.“
Sie richtete sich auf, als Miles den Flur entlang marschiert kam. Ohne sie zu begrüßen, streckte er die Hand nach dem Krankenblatt aus, das Gina ihm ebenso wortlos reichte. Warum musste er so ein Theater machen, nur weil sie nicht mit ihm ausgehen wollte?
„Jede Schwesternschülerin schreibt bessere Anamnesen“, brummte er, während er das Blatt überflog.
Gina verkniff sich eine passende Bemerkung und wartete schweigend, bis Miles den Bauch des Patienten abgetastet und seine Fragen gestellt hatte. An seiner Miene konnte sie ablesen, dass er keine Ahnung hatte, was dem jungen Mann fehlte. Doch das schien ihn nicht zu kümmern. Wenn es Miles an etwas nicht mangelte, dann an dem Vertrauen in seine Fähigkeiten.
„Ich brauche ein Blutbild und einen Urintest.“ Er machte eine Notiz auf dem Krankenblatt und wandte sich zum Gehen, doch Gina hielt ihn zurück.
„Mr Sanderson hat starke Schmerzen.“
„Fünf Milligramm Morphium.“ Ohne Gina anzusehen, erstellte Miles die Verordnung und unterzeichnete sie. „Rufen Sie mich an, sobald das Blutbild da ist, falls Sie es nicht vergessen, Schwester.“
Das war eine unerhörte Beleidigung, doch vor einem Patienten würde Gina sich nie mit Miles anlegen. „Selbstverständlich“, erwiderte sie eisig.
Adam Sanderson sah sie verwundert an, als Miles gegangen war. „Was ist denn mit dem los? Er hat Sie die ganze Zeit nur angefaucht.“
„Wahrscheinlich hat er einen schlechten Tag“, meinte Gina leichthin, obwohl es an der Zeit war, etwas gegen Miles’ Unverschämtheiten ihr gegenüber zu unternehmen. Sie durfte nicht länger zulassen, dass er sie vor den Patienten als inkompetent hinstellte.
Ihr Patient seufzte. „Nicht nur er.“
Während sie das Morphium holte, überlegte Gina, wie sie das Problem mit Miles am besten lösen könnte. Eine Aussprache wäre natürlich das Vernünftigste, aber wie sie Miles einschätzte, würde das Ganze in einem handfesten Streit enden.
Vielleicht sollte ich Marco bitten, in dieser Sache zu vermitteln, überlegte sie, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Marco in ihre Angelegenheiten einzubeziehen war etwas, das sie vermeiden wollte. Lily war ihre einzige Verbindung, und das sollte auch so bleiben.
Marco war mehr als nervös, als er die Akutambulanz betrat. Gina hatte Nachtdienst, und er konnte es kaum erwarten, sie wiederzusehen. Der Samstag schien eine Ewigkeit zurückzuliegen, und er hatte sie vermisst, das konnte er nicht leugnen.
Der Gedanke ließ ihn innehalten. Es war, als hätten diese wenigen gemeinsamen Stunden all die alten Gefühle wachgerufen, die er so mühsam zu verdrängen versuchte. Vor drei Jahren war er nahe daran gewesen, sich in sie zu verlieben … Das durfte ihm jetzt nicht wieder passieren.
Als er das Büro leer vorfand, ging er auf die Station, doch dort traf er nur Julie an.
„Wo ist Gina?“, fragte er sie. „Ich dachte, sie hätte heute Abend Dienst.“
„Hat sie auch, aber ich weiß nicht, wo sie gerade steckt. Vermutlich muss sie irgendwo Dampf ablassen, nach ihrem letzten Krach mit Miles.“
„Welcher Krach?“
„Ach, nichts. Ich hätte besser die Klappe halten sollen“, murmelte Julie und machte sich eilig davon.
Aber so einfach ließ Marco sich nicht abspeisen. Wenn es auf seiner Station Probleme gab, dann musste er Bescheid wissen, besonders, wenn es um Gina ging. Er beschloss, im Büro auf sie zu warten. Als sie wenig später dort auftauchte, sah Marco sofort, dass sie wütend war –
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