Julia Arztroman Band 62
einstellen, der Mutter des Jungen freundlich zu begegnen und sie herzlich in Swallowbrook willkommen zu heißen. In der Hoffnung, dabei ihre wahren Gefühle verbergen zu können. Mit diesem Gedanken stand sie auf und stellte noch einmal den Wasserkocher an.
Hinter der Trennwand schlief Nathan allerdings keineswegs. Im Gegensatz zu Toby, der sich nach seinem Gutenachttrunk zufrieden ins Bett gekuschelt hatte. Als Nathan auf den Kleinen hinunterblickte, erschienen ihm der Stress, der Kummer und die Verwirrung der letzten Monate als nicht mehr ganz so schlimm, weil er jetzt endlich zu Hause in Swallowbrook war.
Das letzte Mal hatte er Libby Hamilton im Vorraum der Kirche gesehen. Damals war er aus dem Taxi gestürzt, das ihn vom Flughafen hergebracht hatte, weil er hoffte, mit Libby sprechen zu können, bevor sie die Frau von Ian Jefferson wurde.
Er wollte wissen, ob sie den vergnügungssüchtigen Gestütsbesitzer deshalb heiratete, weil er selbst gegangen war. Oder ob die Gefühle, die sie ihm vor seiner Abreise gestanden hatte, nur eine vorübergehende Sache gewesen waren, sodass sie sich schnell mit jemand anders getröstet hatte. Dann hätte er sich nicht mehr mit dem schlechten Gewissen belasten müssen, das ihn seit seiner Abreise quälte.
Aufgrund seines verspäteten Fluges kam Nathan jedoch erst in dem Moment an, als der Pastor das Brautpaar gerade zu Mann und Frau erklärte. Sobald er sah, wie Libby ihren frisch angetrauten Ehemann anlächelte, verschwand Nathan so schnell, wie er gekommen war. Damit hatte er also die Antwort auf seine Frage bekommen. Libbys Gefühle für ihn waren nicht von Dauer gewesen, und wenn man gemerkt hätte, dass er am Kircheneingang auf sie wartete, hätte er wie der größte Dummkopf da gestanden.
Vor dem Tor zum Kirchhof hielt gerade ein Bus an der Haltestelle an, und Nathan stieg sofort ein, nur um möglichst rasch von hier wegzukommen. Als er danach auf seinen Flug wartete, der ihn nach Afrika zurückbringen würde, dachte er düster daran, wie Libby ihm in ihrer Verzweiflung über seine Abreise ihre Liebe gestanden hatte. An dem Tag hatte er ihr erklärt, dass er kein Interesse an ihr hätte. Seine Arroganz von damals wurde nur noch dadurch übertroffen, dass er allen Ernstes geglaubt hatte, sie würde an ihrem Hochzeitstag ausgerechnet mit ihm reden wollen.
An dem Morgen, als er nach Afrika abfliegen sollte, war sie am Flughafen aufgetaucht. Sie war die Einzige dort, denn von seinem Vater hatte Nathan sich bereits am Abend zuvor verabschiedet, und allen anderen hatte er gesagt, dass er keinen allgemeinen Abschied wollte. Daher war er angenehm überrascht gewesen, Libby zu sehen.
Es war kurz vor dem Aufruf seines Fluges gewesen, und Libby hatte ihn angefleht, nicht abzureisen.
„Ich liebe dich, Nathan“, sagte sie. „Schon immer. Bis heute Morgen hatte ich mich damit abgefunden, dass du aus meinem Leben verschwindest. Aber plötzlich wusste ich, dass ich dich noch einmal sehen musste. Ich weiß, wie wichtig dir die Arbeit in Afrika ist. Aber dafür wäre doch auch später noch genug Zeit, wenn wir eine Weile glücklich miteinander gelebt und vielleicht sogar eine Familie gegründet hätten.“
Leider hatte Libby sich einen höchst unpassenden Moment für ihr Geständnis ausgesucht, nur wenige Minuten vor dem Boarding seines Fluges. Außerdem kämpfte Nathan noch mit den Nachwehen seiner gescheiterten Verlobung. Trotz der Tränen in ihren Augen reagierte er deshalb brüsk und abweisend.
„Wie kannst du mich gerade jetzt mit so etwas konfrontieren, Libby? In wenigen Minuten geht mein Flug. Vergiss mich einfach, und warte nicht auf mich. Im Augenblick bin ich bestimmt nicht an einer Beziehung interessiert.“
Dann, etwas beschämt über seine Schroffheit, beugte er sich vor, um ihr einen Wangenkuss zu geben. Stattdessen trafen sich ihre Lippen, und innerhalb von Sekunden war alles anders.
Nathan küsste sie mit der leidenschaftlichen Intensität einer plötzlichen Offenbarung, und der Kuss wäre wahrscheinlich noch endlos weitergegangen, wenn nicht gerade in diesem Moment eine Stimme den Beginn des Boardings für sein Flugzeug angesagt hätte.
Schlagartig kehrte seine Vernunft zurück, und er wiederholte seinen Satz von eben: „Warte nicht auf mich, Libby.“
Ehe er noch zu Ende gesprochen hatte, stürzte sie schon zum Ausgang. Verärgert über sein unsensibles Verhalten nahm Nathan sich vor, sie anzurufen, sobald er an seinem Reiseziel angekommen war, um sich
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