Julia Arztroman Band 62
bei ihr zu entschuldigen. Doch in dem Chaos, das er bei seiner Ankunft vorfand, gab es für Privates keinen Platz mehr. Bis zu dem Tag, als sein Vater einige Monate später anrief, um ihm zu sagen, dass Libby am kommenden Samstag heiraten würde.
Da stiegen plötzlich die Erinnerungen wieder in ihm auf. An ihre Tränen, ihre Anmut und seine eigene Arroganz, mit der er ihre Gefühle beiseite gewischt hatte.
Aber es war zu spät. Niemals würde Nathan vergessen, wie glücklich Libby in der Kirche ausgesehen hatte.
Jetzt, als er auf Toby hinunterschaute, der unter seiner Decke so klein und schutzlos wirkte, wusste Nathan, dass er in den kommenden Monaten hohe Mauern einreißen und neue Brücken bauen musste. Seine Zeit in Afrika war vorbei, und er war jetzt endgültig nach Hause zurückgekommen.
Nach Jeffersons Tod hatte er nichts unternommen. Aber jetzt war ihm nichts anderes übrig geblieben, als nach England zurückzukehren, weil sein bester Freund und dessen Frau als Touristen bei einem entsetzlichen Fährunglück ums Leben gekommen waren. Diese Tragödie hatte sein Leben und das des schlafenden kleinen Jungen für immer verändert.
Die Teekanne vor sich, dachte Libby darüber nach, wie viel in den letzten drei Jahren in ihrem Leben schiefgegangen war, seit sie Nathan das letzte Mal gesehen hatte. Um der Welt und sich selbst zu beweisen, dass ihre Gefühle für ihn der Vergangenheit angehörten, hatte sie sich Ian Jefferson zugewandt, der ihr schon zwei Heiratsanträge gemacht hatte.
Sechs Monate später, Nathans verletzende Worte am Flughafen noch immer in schmerzlicher Erinnerung, hatte sie daher beim dritten Mal Ians Antrag schließlich angenommen. Anfangs waren sie in Lavender Cottage recht glücklich miteinander gewesen. Im Laufe der Zeit hatte Libby jedoch festgestellt, dass Ian nur eine Frau gesucht hatte, um sein Ansehen im Dorf zu steigern. Und die blonde Ärztin aus der Praxis war seine erste Wahl gewesen.
Die Ehe hatte ihn nicht davon abgehalten, endlos viel Zeit auf dem Golfplatz zu verbringen, zu segeln oder seine zahlreichen Pferde zu reiten, während seine Angestellten sich um die Ställe kümmerten.
Eines Abends war er von einer lebhaften Stute abgeworfen und dabei tödlich verletzt worden. Und wieder musste Libby sich mit einer traurigen und traumatischen Situation abfinden, bei der ihr das Herz allerdings nicht so sehr brach wie bei der Abreise von Nathan.
Nachdem sie die Teekanne leer getrunken hatte, ging Libby wieder zu Bett, wälzte sich jedoch unruhig hin und her und schlief erst ein, als der Morgen über den Bergen dämmerte.
Dann wachte sie auf, weil sie unten Stimmen hörte. Vom Fenster aus sah sie, dass der Milchfarmer, der ihr die Milch anlieferte, sich mit Nathan unterhielt. Nach der Menge zu schließen, die dieser von ihm kaufte, konnte Libby davon ausgehen, dass er und Toby wohl nicht noch einmal welche bei ihr ausborgen würden.
Da heute Samstag war, schlüpfte sie wieder zurück ins Bett und ließ sich die unerwarteten Ereignisse des gestrigen Abends noch einmal durch den Kopf gehen.
Nathan war wieder in Swallowbrook, und er hatte eine Familie. Seine Wahl war offensichtlich besser ausgefallen als ihre.
Gegen Mittag stand Libby auf, zog eine Hose und einen hübschen Pullover an und ging ins Dorf, um Lebensmittel und andere Dinge zu besorgen, die sie nach ihrer Reise benötigte. Als sie das Haus verließ, war nebenan niemand zu sehen, aber Nathans Auto stand noch da. Also waren sie entweder drinnen oder unterwegs im Dorf.
Auf dem Heimweg musste Libby an dem Park neben der Schule vorbei, der ziemlich verlassen schien, bis auf Nathan und Toby, der auf dem Kinderspielplatz von einem Gerät zum nächsten lief.
Entschlossen setzte Libby ihren Weg fort. Die beiden wirkten ein wenig verloren in dem menschenleeren Park. Nathan schubste Toby auf einer Schaukel an. Doch sobald er Libby erblickte, hob er ihn herunter und kam zu ihr.
Jetzt hatte sie mehr Zeit, ihn zu betrachten, als am Abend zuvor. Die Arbeit in Afrika hatte ihren Tribut von ihm gefordert. Nathan war hagerer geworden und strahlte nicht mehr diese Dynamik aus, die sie früher so sehr angezogen hatte. Sein dichtes, dunkles Haar sah jedoch aus wie immer, und auch die haselnussbraunen Augen waren noch genauso undurchdringlich wie zuvor.
„Ich fasse es nicht, dass du ohne ein Wort einfach vorbeigehen wolltest“, meinte er.
„Wieso?“, fragte Libby. „Was gibt es schon zu sagen?“
„Von meiner Seite aus
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