Julia Arztroman Band 62
gab sie zu.
„Warum denn nicht?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht, weil ich frisch gefangenen Lachs eigentlich sehr gerne mag.“
„Aber nicht den Kerl, der ihn geangelt hat?“
Ohne darauf einzugehen, sagte sie: „Meine Patienten warten, Nathan. Sollen wir also anfangen? Für welche Zeiten würdest du uns hier zur Verfügung stehen?“
„Von halb zehn bis halb vier, wenn die Grundschule aufhört“, erwiderte er. „Wir waren eben bei der Schuldirektorin, und Toby hat morgen seinen ersten Tag. Nachher fahre ich mit ihm in die Stadt, um die Schuluniform und eine Schultasche zu besorgen. Wenn es dir recht ist, würde ich gerne erst am Mittwoch in der Praxis anfangen. Dann kann ich mich morgen um Toby kümmern, falls er Probleme hat, in die Schule zu gehen, wenn es so weit ist. Nach den vielen Veränderungen der letzten Monate würde mich das nicht überraschen.“
„Mittwoch wäre in Ordnung“, versicherte Libby. Sie bewunderte ihn dafür, wie klar er seine Prioritäten setzte. „Das Sprechzimmer deines Vaters am Ende des Flurs ist frei. Und da außer Gordon alle Kollegen für dich neu sind, werde ich sie dir gleich mal vorstellen, wenn du willst.“
„Gern“, stimmte Nathan sofort zu. „Die Praxis scheint wohl das Einzige zu sein, was mir hier noch vertraut ist. Und du, Libby.“
Träum weiter, dachte sie. Zwar würde sie ihn als Nachbarn und Arbeitskollegen akzeptieren, aber damit hatte es sich dann auch. Vertrautheit zwischen ihnen sollte es auf keinen Fall geben.
Gleich nach der allgemeinen Vorstellungsrunde brach Nathan auf. Er holte Toby aus der Spielzeug-Ecke und fuhr mit ihm los, um ihm seine Schuluniform in Dunkelgrün und Gold zu kaufen.
Am nächsten Morgen sah Libby die beiden am Fenster der Praxis vorbeigehen. Beim Anblick des kleinen Jungen in seinem schicken grüngoldenen Blazer mit farblich dazu abgestimmtem T-Shirt und Shorts, den Nathan liebevoll bei der Hand hielt, schnürte es ihr unwillkürlich die Kehle zu.
Früher einmal hatte sie von einem ähnlichen Bild geträumt. Einem Bild, bei dem Nathan und sie mit ihren Kindern eine glückliche Familie waren. Aber es war eben nur ein Traum gewesen.
Sie und Nathan würden nie zusammenkommen. Auf diese Weise konnte Libby sich vor weiterem Kummer in Bezug auf Männer schützen. Schließlich hatte sie in dieser Hinsicht bisher keinen großen Erfolg gehabt.
Als sie nach einer Weile aufstand, um sich schnell einen Kaffee zu machen, bevor sie den nächsten Patienten hereinrief, kam Nathan wieder vorbei. Diesmal auf dem Rückweg.
Sie winkte ihm zu, woraufhin er mit den Daumen nach oben zeigte und dann weiterging. Libby blieb mit dem Gefühl von Unwirklichkeit zurück, das sie schon die ganze Zeit begleitete, seitdem sie ihm am Freitagabend die Tür geöffnet hatte.
Henrietta Weekes war eine Stammpatientin, deren Beschwerden hauptsächlich von ihrem schwachen Herzen herrührten, verursacht von einer Scharlachinfektion in ihrer Kindheit. Normalerweise kam sie damit ganz gut zurecht, heute jedoch hatte sie Schmerzen.
Nachdem sie Henriettas Herz untersucht hatte, sagte Libby entsetzt: „Wie um alles in der Welt sind Sie in diesem Zustand hergekommen?“
„Mein Sohn hat mich gebracht“, stieß Henrietta schwer atmend hervor.
„Da bin ich ja froh, dass Sie nicht gelaufen sind“, gab Libby streng zurück. „Ihr Herzschlag ist völlig außer Kontrolle und beeinträchtigt Ihre Atmung. Ich schicke Sie sofort mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus. Dann wird man sich schneller um Sie kümmern, als wenn Ihr Sohn Sie hinfährt. Eine der Schwestern begleitet Sie zurück ins Wartezimmer, während ich die Notaufnahme benachrichtige. Sie sind wirklich eine erstaunliche Frau, Henrietta. Aber auf der Intensivstation werden Sie in guten Händen sein.“
„Falls ich noch so lange überlebe“, erwiderte Henrietta und verzog das Gesicht.
Es war typisch für sie, dass sie dem, was möglicherweise passieren könnte, mit derselben stoischen Gelassenheit entgegenblickte, mit der sie alle bisherigen Schwierigkeiten gemeistert hatte. Ihre Familie, die sie liebte, musste ständig um ihre Gesundheit bangen.
Der Tag verging wie jeder andere arbeitsreiche Montag, sodass Libby keine Zeit blieb, weiter über Toby und seinen ersten Schultag nachzudenken. Vielleicht würde sie am Abend etwas darüber erfahren, wenn sie wieder zu Hause war.
Libby wollte sich gerade eine Kleinigkeit zum Abendessen machen, als es an der Tür klopfte.
Sie öffnete, und Toby schaute
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