Julia Arztroman Band 62
Menschen leben auch sehr gut mit nur einer Niere. Und selbst wenn Ihre gute Niere nicht mehr die Beste ist, glaube ich doch, dass sie weiterhin funktionieren wird. Die Ärzte im Krankenhaus möchten Sie gerne alle drei Monate einmal sehen, um Sie zu überwachen. Das heißt, Sie brauchen sich erst mal keine großen Sorgen zu machen.“
„Wenn Sie mich nicht dahingeschickt hätten, hätte ich auch keine Sorgen“, protestierte der alte Mann.
„Solche Untersuchungen werden von Hausärzten bei älteren Patienten immer angeordnet“, entgegnete Libby. „Dadurch sind Ihre Nieren ja nicht schlechter geworden, und wenn Sie jetzt regelmäßig untersucht werden, kann das doch nicht schaden, oder?“
„Da haben Sie wohl recht“, stimmte er widerstrebend zu und erhob sich. „Ich gehe heute Nachmittag bei John Gallagher angeln. Das wird mich aufmuntern. Er hat übrigens erzählt, dass Nathan wieder da ist und auch noch einen kleinen Jungen aufzieht. Kommt er denn zurück in die Praxis?“
„Ja, er fängt nachher an, sobald er den Kleinen zur Schule gebracht hat.“
„Das sind doch mal gute Neuigkeiten!“, meinte Donald. „Dann wird es ja wie früher.“
Nicht ganz, dachte Libby, während er dem nächsten Patienten Platz machte.
„Es war ein Geniestreich, Nathan Gallagher wieder mit in die Praxis aufzunehmen“, meinte Hugo Lawrence, der am späten Vormittag an der Tür zu Libbys Sprechzimmer auftauchte. „Dass er so lange nichts mit dem staatlichen Gesundheitsdienst zu tun hatte, scheint seine Arbeit nicht im Geringsten zu beeinträchtigen. Wie es aussieht, ist er in absoluter Topform.“
Libby lächelte über seine Begeisterung, stellte jedoch richtig, dass Nathan es eher als selbstverständlich angesehen hatte, wieder bei ihnen mitarbeiten zu können. Um Punkt halb zehn war er in Anzug, Hemd und Krawatte erschienen und strahlte kühle Kompetenz aus.
Sie wäre erstaunt gewesen, wenn sie gewusst hätte, wie sehr er befürchtete, ihr gegenüber etwas Falsches zu sagen oder zu tun. So allerdings empfand sie seine Anwesenheit als schön und schmerzlich zugleich.
Auf ihre Frage, wie es Toby an seinem zweiten Tag in der Schule ergangen war, erzählte Nathan, dass der Junge nur kurz gezögert hätte, sich auf dem Schulhof einzureihen, wie alle Kinder es taten, ehe sie in ihre Klassenräume gingen. Doch dann war er problemlos mit den anderen hineinmarschiert.
Als die drei Ärzte sich in ihrer Mittagspause trafen, wandte Libby sich an Nathan. „Möchtest du die Hausbesuche heute Nachmittag übernehmen, um dich wieder mit der Gegend vertraut zu machen? Oder willst du dich erst ein paar Tage eingewöhnen?“
Er zögerte. „Vielleicht morgen, wenn es euch recht ist. Heute würde ich lieber in der Nähe bleiben, falls ein Anruf aus der Schule kommen sollte. Ich weiß, das klingt nach übertriebener Besorgnis, aber …“
Sich um jemanden zu kümmern hatte nichts mit übertriebener Besorgnis zu tun, fand Libby, die unwillkürlich einen Kloß im Hals spürte. Aber hatte sie nicht gerade beschlossen, Abstand zu wahren?
„Ja, natürlich“, sagte sie daher nur. „Dann fahre ich heute zu den Hausbesuchen und überlasse Hugo und dir die Nachmittagssprechstunde.“
Auf dem Weg zu ihrem ersten Hausbesuch musste Libby an der Schule vorbeifahren. Als sie sah, dass die Kinder alle draußen auf dem Schulhof spielten, hielt sie aus einem Impuls heraus an, um zu sehen, ob Toby irgendwo zu entdecken war, damit sie Nathan Bericht erstatten konnte.
Da erblickte sie auch schon seinen hellen Lockenschopf in der Menge. Er spielte Fangen mit einem anderen Kind und zeigte überhaupt keine Schüchternheit.
Sobald er Libby am Zaun stehen sah, rannte er zu ihr herüber.
„Geht es dir gut, Toby?“, erkundigte sie sich.
„Ja, Dr. Hamilton“, stieß er atemlos hervor. „Ich hab hier viel Spaß.“ Damit stürmte er wieder los zu seinem Spielkameraden.
Vom Auto aus rief sie in der Praxis an und ließ sich zu Nathan durchstellen. „Du brauchst dir um Toby keine Sorgen zu machen. Die Kinder waren gerade auf dem Schulhof, als ich vorbeikam. Deshalb habe ich nach ihm geschaut. Er spielt mit einem anderen kleinen Jungen, und es geht ihm gut.“
Einen Augenblick herrschte Schweigen am anderen Ende, ehe Nathan mit rauer Stimme sagte: „Danke, Libby. Das war sehr nett von dir.“
„Keine Ursache“, meinte sie leichthin. „Wir sehen uns dann später.“
Die Pellows waren eine Problemfamilie, die von einer Krise in die nächste zu
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