Julia Arztroman Band 62
bedeutungslosen Verbindung wie mit Ian haben wollen.
Für den Nachmittag beschloss Libby, eine Fahrt auf einem der Ausflugsdampfer zu machen, die mehrfach täglich über den See fuhren, am anderen Ende auszusteigen und in ihrem Lieblingsrestaurant direkt neben der Anlegestelle essen zu gehen.
Das Boot war voll. Libby stand an der Reling, genoss beim Vorbeifahren den Blick auf das schöne neue Krankenhaus und betrachtete sehnsüchtig die Häuser aus grauem Sandstein am Ufer mit ihren privaten Bootsstegen und eigenem Angelrecht.
In der Ferne konnte man Farmen sehen, umgeben von grünen Wiesen, wo das Vieh graste. Und darüber ragten hoch die vertrauten Berge auf, die rauen Wächter der Seen.
Ob Nathan diese schöne Landschaft ebenso liebt wie ich, fragte sich Libby. Hatte er sich an den heißen Tagen in Afrika jemals hierher zurückgesehnt? Wenn ja, dann hätten wir wenigstens das gemeinsam, dachte sie leicht ironisch. Wie viele Fische er und Toby wohl in dem Fluss in der Nähe von Johns Holzhaus gefangen hatten?
Da hörte sie plötzlich Nathans Stimme hinter sich. „Als ich so weit weg war, habe ich davon geträumt, eine solche Dampferfahrt zu machen. Manchmal war es das Einzige, was mich aufrechtgehalten hat.“
Ehe er noch mehr sagen konnte, zog Toby energisch an Libbys Ärmel und berichtete aufgeregt: „Wir haben Fische gefangen, Dr. Hamilton.“
„Nein, wirklich?“, meinte sie beeindruckt. „Wie viele denn?“
„Zwei, einen Lachs und einen Hecht“, antwortete er stolz.
„Aber den Hecht mussten wir wieder ins Wasser werfen, weil das ein besonderer Fisch ist“, erklärte Nathan.
„Und wo ist der Lachs jetzt?“, erkundigte sie sich.
„Dad kocht ihn für uns, wenn wir zurückkommen“, sagte Nathan. „Aber zuerst wollte ich mit Toby noch auf das Schiff.“ Gedämpft fügte er hinzu: „Es tut mir leid, wenn du das Gefühl hast, ich bin überall da, wo du dich aufhältst, Libby. Ich hatte keine Ahnung, dass du an Bord bist. Hättest du vielleicht Lust, mit uns zu essen? Es ist bestimmt genug Fisch für alle da.“
Zwar war die Versuchung groß, aber sie war fest entschlossen, ihr nicht nachzugeben. Sie und Nathan würden eine rein berufliche Beziehung zueinander haben, mehr nicht. Höflich lehnte sie daher ab. „Danke für die Einladung, aber ich habe schon einen Tisch in meinem Lieblingsrestaurant reserviert.“
Die Botschaft war unmissverständlich, und wieder einmal wünschte Nathan, er hätte sich nach seiner Ankunft in Afrika gleich bei Libby gemeldet, um sich wenigstens bei ihr zu entschuldigen. Aber damals kam einfach alles zur falschen Zeit. Angefangen mit der Erkenntnis am Flughafen, dass Libby Hamilton ihm doch nicht so gleichgültig war, wie er geglaubt hatte. Dazu der Aufruf seines Fluges sowie der unterschriebene Dreijahresvertrag in Afrika.
Das Ganze war so plötzlich gekommen, dass er sie weggeschickt hatte. Danach hatte er die Chance verpasst, vor ihrer Hochzeit mit ihr zu reden, und war ohne Antwort auf seine Fragen nach Afrika zurückgekehrt.
Doch nun war er wieder in Swallowbrook, und sie hatte ihren Mann verloren. Trotzdem wusste Nathan noch immer nicht, wie tief ihre Gefühle an jenem Tag wirklich gewesen waren. Vielleicht nur ein Rest ihrer kindlichen Schwärmerei, wenn sie sich danach so schnell Ian Jefferson zugewandt hatte. Jedenfalls schien seit seiner Rückkehr keine erotische Anziehung mehr zwischen ihnen zu bestehen.
„Schön“, meinte er daher.
Libby hatte so einsam ausgesehen, wie sie da an der Reling stand, dass Nathan nicht anders konnte, als sie mit zu seinem Vater einzuladen. Aber sofort hatte sie ihre Mauern wieder aufgebaut.
Nach der Ankunft auf der anderen Seite des Sees blieben Nathan und Toby auf dem Dampfer, um zurückzufahren. Libby dagegen ging nach einem kurzen Abschied wie geplant in das Restaurant am Anleger.
Obwohl sie häufig hier aß, hatte sie diesmal nicht reserviert, und irgendwie wollte ihr das Essen heute nicht so recht schmecken.
Sie nahm das letzte Boot, das zurückfuhr, ehe das Tageslicht schwand. Die Vorstellung, am nächsten Morgen mit Nathan in der Praxis zu arbeiten, drückte auf ihre Stimmung.
Um Punkt zehn Uhr klopfte Nathan an die Tür zu ihrem Sprechzimmer, und Libby ließ ihn herein.
Er war allein.
„Wo ist Toby?“, fragte sie.
„Er spielt im Wartezimmer. Eine der Empfangsdamen passt auf ihn auf.“ Nathan setzte sich Libby gegenüber. „Hat dir dein Essen gestern geschmeckt?“
„Nein, nicht besonders“,
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