Julia Arztroman Band 62
um es an seinen Liegeplatz zu bringen.
Aber würde er der Versuchung widerstehen können, der schönen Dame vom See einen Besuch abzustatten? Das bezweifelte er.
Libby und Toby waren die wichtigsten Menschen in seinem Leben. Der Junge deshalb, weil er ihn liebte wie ein eigenes Kind und sich sein ganzes Leben um ihn drehte. Und Libby wegen ihrer Stärke, ihrer Integrität und weil sie ein so starkes Verlangen in ihm auslöste. In den vergangenen Jahren war er einer ganzen Reihe von Frauen begegnet, die sofort da gewesen wären, wenn er ihnen die geringste Hoffnung gemacht hätte. Aber diejenige, die er wollte, schien außerhalb seiner Reichweite.
Als er den Motor startete, hatte der Himmel sich stark verdunkelt, und ein kräftiger Wind schnitt Nathan in die Wangen, während er das Boot durch die grauen Wellen lenkte. Das Wetter passte zu seiner düsteren Stimmung.
Die Freude über den Bootskauf war etwas gedämpft worden durch die Erkenntnis, dass Libby auf die Insel gegangen war, um sich von ihm zu distanzieren. Doch bei dem Gedanken an Tobys Begeisterung, wenn er das neue Boot sah, lächelte Nathan.
Da er sich der Insel näherte, reckte er den Hals, ob er etwas von Libby sehen konnte. An einer Seite des Hauses stieg Rauch auf, und als Nathan noch näher herankam, erblickte er sie. Sie war gerade dabei, ein Lagerfeuer aus trockenen Ästen und herumliegenden Blättern anzufachen.
Der Landungssteg lag vor ihm. Auch auf das Risiko hin, sich eine Abfuhr zu holen, steuerte Nathan darauf zu und war nun nahe genug, dass Libby trotz des Windes das Motorengeräusch wahrnahm.
Abrupt drehte sie sich um, wobei ihr langer Rock ins Feuer geriet und eine kleine Flamme den Saum ergriff.
„Du brennst!“, schrie Nathan.
Noch nie in seinem Leben hatte er so schnell reagiert. Bei noch laufendem Motor sprang er aus dem Boot, stürzte auf sie zu und versuchte mit bloßen Händen die Flamme an ihrem Rock auszuschlagen.
Als es ihm gelungen war, sackte Libby in seinen Armen zusammen und schaute ihn erschrocken und zugleich verwundert an. „Wo kommst du denn her?“, brachte sie mühsam hervor. „Woher wusstest du, dass ich hier bin?“
„Später“, gab er knapp zurück. „Jetzt müssen wir erst mal rein und unsere Brandwunden behandeln.“ Gepresst setzte er hinzu: „Wie um Himmels willen bist du auf die Idee gekommen, bei einem so stürmischen Wind Feuer zu machen?“
Sie schaute weg und fragte leise: „Woher hast du das Boot?“
„Es ist meins. Ich habe es gekauft. Vor einer Stunde habe ich es auf der Bootswerft abgeholt.“
„Daher wusstest du also, wo ich bin. Peter Nolan hat es dir erzählt.“
„Nicht ganz. Ich habe dein Auto dort gesehen und ihm dann den Rest aus der Nase gezogen. Als Toby im Krankenhaus lag, habe ich ihm versprochen, ein Boot zu kaufen. Und morgen, wenn ich ihn von der Schule abhole, sieht er, dass ich mein Versprechen gehalten habe. Heute übernachtet er bei Dad, deshalb habe ich ein bisschen Zeit für mich.“ Nathan blickte auf seine Hände. „Da bilden sich die ersten Blasen. Und bei dir?“
Libby schaute hinunter auf die Brandlöcher in ihrem Rock. „Ich glaube, dein schnelles Eingreifen hat mir das erspart. Ich gehe gleich hoch, um mich umzuziehen. Aber vorher will ich mir noch deine Hände ansehen.“
Er streckte sie vor sich aus. Tatsächlich, auf der geröteten Haut erschienen Brandblasen.
Sie stieß einen erschrockenen Ausruf aus, doch er meinte nur trocken: „Mach kein Drama draus, Libby. Hast du deinen Arztkoffer dabei?“
„Ja. Ich habe ihn für den Notfall mitgenommen, aber mit so etwas hatte ich natürlich nicht gerechnet. Ich hole ihn.“
„Gut.“ Nathan nickte. „Bevor ich reinkomme, kümmere ich mich um alles Nötige hier draußen. Ich habe einen Eimer an Bord und werde das Feuer mit Seewasser löschen. Dann mache ich das Boot ordentlich fest. Ich habe zwar die Leine über den Poller geworfen, als ich rausgesprungen bin, aber ich muss noch den Motor abschalten und es sicher vertäuen, bis ich wieder losfahre. Sieht so aus, als ob uns eine raue Nacht bevorsteht.“
Als Libby mit ihrem Arztkoffer wieder herunterkam, war auch Nathan zurück, der sich interessiert umschaute. Rasch bedeutete sie ihm, sich auf einen Küchenstuhl zu setzen. Obwohl ihm seine Hände sicherlich sehr wehtaten, ließ er sich nichts anmerken, sondern saß geduldig da, während Libby ihm einen speziellen Brandwundenverband anlegte und ihm dann ein Glas Wasser und Schmerztabletten
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