Julia Arztroman Band 62
ihrer Nähe gewesen.
Andererseits fand sie, eine Woche ohne ihn wäre lang genug. Deshalb hatte sie ihren Urlaub verkürzt und die zweite Woche für Weihnachten aufgespart.
Am Donnerstagabend sah Nathan sie mit einem Großeinkauf aus einem der Supermärkte zurückkommen. Anscheinend hatte sie eine Unterkunft gebucht, wo sie sich selbst versorgen musste.
Als er Toby von Libbys geplantem Urlaub in der nächsten Woche erzählte, fragte der Junge mit seinem unschuldigen kindlichen Gemüt, warum sie denn nicht mitfahren würden. Denn für ihn gehörte sie inzwischen zur Familie.
Nathan erklärte ihm liebevoll, dass immer zwei Ärzte gebraucht wurden, um die Einwohner von Swallowbrook zu versorgen. Vor allem im Winter. Daher musste er eben in der Praxis sein, wenn Libby wegfuhr.
Natürlich wäre auch Nathans Vater jederzeit bereit gewesen, im Notfall einzuspringen, doch davon sagte er Toby nichts. Stattdessen lenkte er die Aufmerksamkeit des Jungen auf das große Feuer, das inzwischen auf der Wiese hinter dem Park brannte.
Fast alle Dorfbewohner versammelten sich dort in fröhlicher Partystimmung, wenn auch nicht gerade in Partykleidung. Feste Schuhe, warme Jacken und Wollmützen waren für diesen kalten Abend angesagt.
Die Mitglieder des Veranstaltungskomitees zündeten das traditionelle Feuerwerk, und Toby bewunderte mit großen Augen die bunt glitzernden Farbenspiele am nächtlichen Himmel. Über seinen Kopf hinweg lächelten Libby und Nathan sich über sein Staunen zu. Hugo, der mit seiner Schwester in der Nähe stand, erzählte, dass seine beiden Nichten im letzten Jahr ebenso gestaunt hätten. Aber heute Abend halfen sie beim Verkauf von selbstgemachten Toffees an einem der Feststände mit.
Ihre Mutter unterhielt sich mit einer Nachbarin, und Libby meinte leise zu Hugo: „Geht es Patrice inzwischen etwas besser? Kommt sie langsam über Warrens Tod hinweg?“
Er seufzte. „Manchmal denke ich, sie hat es geschafft, und dann bricht sie wieder zusammen, sodass ich mich frage, ob sie jemals darüber hinwegkommen wird. Sie hat eben nicht deine Fähigkeit, sich dem zu stellen, was das Schicksal für uns bereithält, Libby.“
Sie musste beinahe lachen. Hugo wohnte noch nicht lange genug in Swallowbrook, um zu wissen, wie überstürzt sie geheiratet und es danach zutiefst bereut hatte. Und dass sie davor in Nathan verliebt gewesen war, der jetzt ihr leeres, durchorganisiertes Leben auf den Kopf stellte.
Im Augenblick hatte sie überhaupt nicht das Gefühl, sich irgendeiner Sache zu stellen. Als sie sich abwandte und dabei dem undurchdringlichen Blick von Nathan begegnete, fragte sie sich, wie er sie wohl einschätzte.
Hielt er sie für eine Frau, die nicht wusste, was sie wollte? Oder eine eiskalte Witwe, die nicht auftauen würde, nur weil es ab und zu mal zwischen ihnen knisterte?
Tatsächlich gingen Nathans Gedanken in eine ganz andere Richtung. Vor allem war er neidisch darauf, was für ein attraktives Paar Libby und Hugo abgaben. Und Hugo hatte auch keine fertige Familie mit im Gepäck.
Außerdem merkte er jetzt, als ihm der Geruch von gegrilltem Fleisch in die Nase stieg, wie hungrig er war.
Schließlich fragte auch Toby: „Wann gibt’s denn was zu essen, Onkel Nathan?“
Daraufhin überließen sie Hugo und seine Schwester sich selbst und reihten sich in der Schlange am Grill ein.
Anders als sonst, wenn es manchmal wie aus Eimern geschüttet hatte, war das Wetter an diesem Abend herrlich. Der winterliche Mond hoch am Himmel schien auf die Festveranstaltung herab. Trotz der Kälte verbreitete das Feuer eine angenehme Wärme, ebenso wie die Herzlichkeit der Dorfgemeinschaft von Swallowbrook.
Als sie auf ihre Würstchen und Rinderhacksteaks warteten, gefolgt von Gewürzkuchen und heißen Getränken, sagte Nathan zu Libby: „Es tut gut, wieder hier zu sein. Die Arbeit in Afrika war zwar hart, aber sehr befriedigend. Ehe Toby in mein Leben gekommen ist, habe ich sogar daran gedacht, meinen Vertrag dort zu verlängern. Jetzt ist alles anders geworden, und ich bin froh, wieder hier zu sein.“
„In Swallowbrook aufzuwachsen ist sicher das Beste für Toby“, erwiderte Libby in möglichst neutralem Ton. „Für mich war es ein Paradies, als ich klein war. Und das ist es auch heute noch.“
„Ich kann mich noch an dich erinnern, als du klein warst“, meinte er. „Ein rundliches blondes Mädchen mit Rattenschwänzen, das ständig hinter mir und meinen Freunden hergetrottet ist.“
Er hatte recht,
Weitere Kostenlose Bücher