Julia Arztroman Band 62
zweiten, gründlicheren Erkundungsgang fand sie das Haus in seiner kühlen, schlichten Art wunderbar. Alle Wände waren weiß gestrichen, die Vorhänge und Teppiche in dunklem Gold gehalten, und die Einrichtung wirkte modern und gemütlich.
Das Haus war von allen Seiten vom See umgeben, und trotz der geringen Fläche der Insel gab es viele Bäume und Büsche, wo man schön spazieren gehen konnte. Das reinste Paradies, dachte Libby. Ob dieses Anwesen wohl jemals zum Verkauf stehen würde?
In der Ferne sah man die Dorfschule mit ihrem leeren Schulhof, denn heute war ja Samstag. Wie mochten Nathan und Toby ihr Wochenende verbringen? Als Libby sich bei diesem Gedanken ertappte, ermahnte sie sich, dass sie doch gerade deshalb auf die Insel gekommen war, um Abstand von den beiden zu gewinnen, und nicht, um sich nach ihnen zu sehnen. Sonst hätte ihr Aufenthalt hier gar keinen Sinn.
Seit Nathans Rückkehr hatte es in ihrer Beziehung zu ihm zwar durchaus einige Fortschritte, aber auch immer wieder Rückschläge gegeben. Bei aller Unsicherheit ihm gegenüber war ihr eine Sache besonders in Erinnerung geblieben. Nämlich als Nathan gesagt hatte, wenn er jemals selbst Kinder haben sollte, würde er Toby genauso lieben wie seine eigenen. Aus seinem Tonfall hatte Libby ein Bedauern herausgehört, so als ob eine eigene Familie keine Selbstverständlichkeit für einen Mann wäre, der schon ein Kind aufzog.
Bei Einbruch der Dunkelheit am späten Nachmittag gingen am Seeufer ringsum überall die Lichter an. Libby ließ das Buch sinken, das sie gerade las, und dachte bei sich, dass sie ebenso wenig wusste, ob sie jemals Kinder haben würde.
Dafür müsste Nathan der Vater sein, aber durch das ständige Auf und Ab zwischen ihnen war das wohl ziemlich unwahrscheinlich. Dennoch konnte sie sich nicht davon abhalten, an ihn zu denken, selbst wenn sie sich noch so sehr bemühte.
Hätte Libby gewusst, was Nathan an diesem Wochenende vorhatte, wäre sie wahrscheinlich sehr erstaunt gewesen. Den Samstag verbrachten er und Toby ruhig zu Hause, damit der Junge sich von seiner ersten Schulwoche nach dem Schrecken mit der Tollkirsche erholen konnte. Am Sonntag sollte Toby jedoch zu Nathans Vater kommen und bei ihm übernachten. Und Nathan würde ihn dann am Montag von dort aus zur Schule bringen.
Sobald er Toby in dem Holzhaus am Fluss abgeliefert hatte, wollte Nathan zu Peter Nolan fahren, um dort sein Boot abzuholen. Am Montag nach der Schule sollte diese große Überraschung am anderen Ende des Sees auf Toby warten, wo sich die Liegeplätze für Privatboote befanden.
Beim Kauf des Bootes war Nathan gefragt worden, welchen Namen er darauf haben wollte. Aus einem verrückten Impuls heraus hatte er „Pudding“ gesagt und sich dabei gefragt, was Libby davon halten mochte. Würde sie verstehen, dass der Name zärtlichen Humor ausdrücken sollte, oder es eher als eine weitere Bestätigung dafür auffassen, wie wenig er an ihr interessiert war?
Das wäre ein großer Irrtum.
Als Nathan am Sonntagvormittag den Kauf endgültig besiegeln und das Boot zum ersten Mal auf den See hinausfahren wollte, fiel sein Blick in Peter Nolans kleiner Werft als Erstes auf Libbys Auto, das vor dem Büro parkte. Verblüfft glaubte Nathan zunächst, dass seine Augen ihm einen Streich spielten. Doch das Kennzeichen stimmte. Er ging ins Büro, wo er Peter fragte, warum Dr. Hamiltons Wagen denn hier stand.
„Sie brauchte einen Ort zum Unterstellen, solange sie in Urlaub ist. Deshalb habe ich ihr einen leeren Parkplatz angeboten“, antwortete dieser ausweichend.
„Aber wieso hat sie ihn überhaupt hierhergebracht?“, beharrte Nathan.
Da fiel ihm auf, dass Peter unwillkürlich zur Insel hinüberschaute, woraufhin ihm plötzlich ein Licht aufging.
„Ah“, sagte er leise. „Libby wollte, dass Sie sie mit dem Boot irgendwohinbringen, stimmt’s? Aber wohin?“ Durchs Fenster blickte er hinaus aufs Wasser. „Doch nicht auf die Insel, oder?“
Peter nickte widerstrebend. „Mir war nicht ganz wohl dabei, Dr. Hamilton dort ganz alleine zu lassen. Aber sie hat darauf bestanden, und da konnte ich ja schlecht was dagegen sagen.“
„Natürlich nicht“, stimmte Nathan ihm zu. „Wie ist das Haus denn so? Ist es tatsächlich bewohnbar?“
„Absolut“, versicherte Peter. „Es ist ein prima Rückzugsort, um mal alles hinter sich zu lassen.“
„Hm“, brummte Nathan skeptisch. Er beschloss, sich das Haus genauer anzusehen, wenn er mit dem Boot vorbeifuhr,
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