Julia Bestseller Band 142
erwiderte Holly. „Du hättest nur deine Karriere aufs Spiel gesetzt.“
Es entstand ein langes Schweigen. Schließlich fragte Mark: „Du sagtest, die beiden Ärzte hätten dir das Leben gerettet?“
„Sie haben ihn gepackt und von mir weggezogen, dann gaben sie mir zwei Infusionen und pumpten mich voll Flüssigkeit. Dann taten sie alles, um die Blutungen zu stillen. Die meisten Stichwunden waren zum Glück nur oberflächlich.“
„Und die anderen?“
„Sie haben ein kleines Stück vom Darm entfernt, aber daraus haben sich keine Probleme ergeben. Physisch bin ich wiederhergestellt.“
„Und psychisch?“
„Bis heute dachte ich, es wäre alles in Ordnung.“
„Nach allem, was passiert ist, musstest du doch Angst haben, wenn du einem betrunkenen Mann begegnen würdest. Wie bist du denn damit zurechtgekommen?“
„Ich bin eben nicht damit zurechtgekommen. Nach diesem Vorfall konnte ich nicht mehr schlafen. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich dieses Gesicht wieder vor mir.“
„Deswegen hast du so schlecht ausgesehen, als du hier ankamst.“
„Ja. Aber jetzt fühle ich mich viel besser. Es war richtig, dass ich herkam.“
„Weil Cornwall sicherer ist als London?“
„Nicht nur das.“ Hollys Wangen überzogen sich mit einer zarten Röte. „Ich hatte dich im Haus. In deiner Nähe fühle ich mich sicher.“
„Ich kann es immer noch nicht verstehen, warum du mir das nicht früher erzählt hast“, sagte Mark und schüttelte den Kopf.
„Zuerst wollte ich dich nicht beunruhigen, und später wollte ich mit niemanden darüber reden. Ich dachte, wenn ich den Vorfall ignoriere, würde die Angst vielleicht verschwinden. Ich kündigte meinen Job, weil ich nicht wagte, wieder in einer innerstädtischen Praxis zu arbeiten. Erst machte ich Ferien, dann bewarb ich mich bei einer Agentur. Aber die Arbeit dort gefiel mir nicht. Und dann kam dein Anruf.“
„Ein Glück!“, sagte Mark. „Und was geschah mit dem Mann, der dich angegriffen hat? Ich nehme an, die Polizei nahm sich seiner an.“
„Ja, natürlich. Es kam heraus, dass er eine lange psychiatrische Vorgeschichte hatte. Ich kenne die Details nicht, und ich wollte sie auch nicht wissen. Ich war zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt.“
„Wenn du mich angerufen hättest, wäre ich zu dir gekommen, das weißt du doch!“
Holly nickte, und wieder fing sie an zu weinen. „Ich weiß, und darum habe ich dich nicht angerufen. Ich wusste, dass ich dir das nicht erzählen durfte, ohne dass du dich auf das weiße Ross schwingst und auf Rache sinnst.“
„Dafür sind Freunde schließlich da“, antwortete Mark und zog sie eng an seine Brust.
„Ich dachte tatsächlich, dass ich darüber hinweggekommen wäre, bis dieser Betrunkene heute hier auftauchte.“ Holly stand auf und blickte versonnen aus dem Fenster über die Bucht. „Was soll ich machen, Mark? Ich kann doch nicht jedes Mal aus dem inneren Gleichgewicht geraten, wenn ich jemanden sehe, der getrunken hat.“
„Du darfst nicht zu viel von dir verlangen. Erst jetzt vernarben die Wunden langsam.“
„Ich weiß nicht.“ Holly legte die heiße Stirn an das kühle Fensterglas. Ihre Augen brannten von den vielen Tränen. „Im Moment habe ich nicht das Gefühl, dass sie jemals vernarben.“
Sie hörte seine Schritte auf dem Parkett und spürte, wie er die Hände auf ihre Schultern legte. „Was geschehen ist, wirst du nie vergessen“, sagte er, „aber die Erinnerungen werden verblassen, und du wirst dich sicherer fühlen. Vielleicht solltest du an einem Kursus für Selbstverteidigung teilnehmen. Das würde dein Selbstvertrauen stärken.“
Holly schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass ich je mit einem Menschen kämpfen kann. Als es passierte, war ich wie erstarrt.“
„Durch Training würde sich das ändern. Du lernst zu reagieren und nicht zu erstarren. Aber das können wir ein andermal überlegen. Du siehst erschöpft aus. Nimm ein heißes Bad! Inzwischen mache ich dir etwas zu essen.“
Mühsam schleppte sich Holly die Treppe hinauf und ging ins Bad. Danach fiel sie wie ein Stein ins Bett und war schon eingeschlafen, als Mark mit dem Abendbrot erschien.
Holly schreckte aus einem Traum auf. Es war der gleiche Traum, der sie in den ersten Wochen nach dem Angriff gequält hatte. Nur dieses Mal erschien ihr alles intensiver, realistischer und bedrohlicher.
Sie setzte sich auf und versuchte sich im Zimmer umzusehen, doch sogleich streckten sich starke Arme
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