Julia Bestseller Band 142
dachte sie benommen. Rafael mochte sich im Regenwald verstecken, doch die Welt ließ ihn nicht in Ruhe.
Allerdings hegte er ganz offensichtlich nicht die Absicht, mit jemandem zu sprechen. Er hob einen Hörer ab und erteilte in knappen Worten die Anweisung, bis auf Weiteres keine Anrufe mehr durchzustellen. Dann richtete Rafael seine Aufmerksamkeit auf sie.
„In Ordnung.“ Er setzte sich auf einen Stuhl und betrachtete sie wachsam. „Ich höre.“
Grace straffte die Schultern. „Was willst du wissen?“
„Alles. Und lass nichts aus.“
Sie atmete tief ein. „Das meiste habe ich dir schon erzählt. Ich hatte die Idee zu diesen Cafés und …“
„Deine Firma interessiert mich nicht. Im Moment weiß ich wahrscheinlich mehr über Café Brazil als du. Über dich will ich alles wissen. Geh zurück in deine Kindheit. Wann hast du gemerkt, dass du Schwierigkeiten mit Zahlen hast?“
Ihr stockte der Atem. Auf einmal wurden all die Gefühle wieder lebendig, die sie jahrelang verdrängt hatte. „Es ist wirklich nicht wichtig und …“
„Nicht wichtig?“ Seine Stimme nahm einen gefährlich leisen Klang an. „Grace, jemand plündert deine Firma.“
„Das weiß ich.“
„Und das kann derjenige nur aus einem Grund so unbehelligt tun: Er glaubt, dass du nichts merkst. Du kontrollierst die Bücher nicht, oder?“
Vor Scham und Demütigung stieg ihr die Röte ins Gesicht. Grace fühlte sich genau wie damals im Mathematikunterricht. Alle anderen Kinder hatten die Aufgabe verstanden, nur sie nicht. „Nein“, flüsterte sie. „Ich schaue mir die Zahlen nicht an.“
„Woher weißt du, wie es um deine Firma steht? Woher weißt du, in welchem finanziellen Rahmen sich Café Brazil bewegt, wenn Zahlen für dich keinen Sinn ergeben?“
„Ich arbeite mit Menschen zusammen, denen ich vertraue. Sie sagen mir, was ich wissen muss …“, sie brach ab, als ihr die entlarvende Naivität ihrer Aussage bewusst wurde, „… oder was sie mich wissen lassen wollen. Das ist wohl nicht ganz dasselbe.“
„Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass jemand dieses Arrangement zu seinem Vorteil nutzen könnte?“
Stumm schüttelte sie den Kopf.
Mit nackter Verzweiflung in den Augen musterte er sie. „Weil Menschen so sind, Grace. Das ist die Wirklichkeit, und es ist ein brutaler, unfreundlicher Ort. In dieser Welt lügen Menschen und betrügen einander.“
„Nicht alle“, entgegnete sie ruhig. „Es gibt viele gute Menschen.“
„Hör auf, so großzügig zu sein.“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch und stand auf. „Wegen dieser Einstellung konnten dich die Leute ausnutzen. Du musst endlich härter werden. Sonst wirst du nie Erfolg haben.“
Es fiel ihr schwer, die Worte auszusprechen. Irgendwie gelang es ihr schließlich. „Ich war nicht erfolgreich. Ich habe Geld verloren.“
„Nein, das hat jemand anderes getan.“ Er runzelte die Stirn. „Dein Instinkt hat dir gesagt, dass du längst Gewinne machen müsstest, oder?“
„Ich wusste, dass die Cafés gut liefen. Nur die Ausgaben schienen sehr hoch zu sein.“
„Und diese Kosten hast du nicht geprüft?“
„Nein.“
„Nun, ich schon“, murmelte er verdrießlich, fuhr mit den Fingern durch die Haare und ging zu dem großen Glasfenster hinüber. „Ich habe den ganzen Morgen über diesen Zahlen gebrütet. Willst du die Ergebnisse wissen?“
Was immer er herausgefunden hatte, es würde ihr nicht gefallen. Aber seit wann war das Leben einfach? War Grace je vor etwas zurückgeschreckt, nur weil es schwierig und hart schien? „Ja.“
Er wandte sich wieder zu ihr um, sein Blick ruhte auf ihr. „Dein Vater hat das gestohlene Geld mit dem Händler geteilt. Zusammen haben sie den Kaffeepreis in die Höhe getrieben und Carlos und Filomena gleichzeitig nur einen Bruchteil gezahlt.“
Ihr Vater.
Ein flaues Gefühl schlich sich in ihren Magen. Instinktiv schüttelte sie den Kopf. „Da muss ein Irrtum vorliegen.“
„Es war dein Vater“, beharrte er in barschem Tonfall. Anscheinend dachte Rafael, dass Mitgefühl die Glaubhaftigkeit seiner Worte beeinträchtigte. „Und das ist noch nicht alles.“
„Bitte, sprich weiter“, erwiderte sie, äußerlich gefasst. „Und lass nichts aus.“
„Du hast erwähnt, dass die Renovierung der Räumlichkeiten mehr gekostet hat, als ursprünglich veranschlagt. Ich habe den Grund dafür entdeckt. Dein Vater hat den völlig überzogenen Preisen eines Handwerkers zugestimmt. Wieder wurde die Differenz geteilt.“
Sie
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