JULIA COLLECTION Band 12
plötzlich los.
Gaylynn war verblüfft. Sie blinzelte verständnislos. Ihre Sinne waren hellwach, ihr Puls raste immer noch.
Nun hob sie eine Hand an ihren Mund, der von dem leidenschaftlichen Kuss bebte. „Wieso hast du das getan?“, flüsterte sie.
Sie hatte das ausgesprochen, ohne nachzudenken, und gemeint, warum er den Kuss abgebrochen und sie so abrupt von sich weggestoßen hatte. Aber glücklicherweise verstand er es als Frage, warum er sie überhaupt geküsst hatte.
„Das war nicht geplant“, murmelte er und strich sich mit einer Hand durchs Haar. „Ich wollte dir nur eine Lektion erteilen …“
Weiter kam er nicht. „Mach dir keine Mühe“, unterbrach sie ihn hitzig. Eine Lektion hatte er ihr also erteilen wollen, ja? Der hatte wirklich Nerven! Das Ganze war bloß … was? … Theater gewesen? Er hatte seinen Hunger nur vorgetäuscht, oder vielleicht hatte sie ihn sich eingebildet, weil sie ihre eigenen Gefühle auf ihn projiziert hatte.
„Ich habe versucht, dich dazu zu bewegen, mit mir zu sprechen, mir zu erzählen, was dir auf der Seele liegt …“
Aha, er hatte die Wahrheit aus ihr herausholen wollen. Das war ihm gelungen. Aber die Wahrheit sah so aus, dass sie sich immer noch zu ihm hingezogen fühlte. „Das ist eine widerliche Methode!“, fuhr sie ihn an und zog dabei den Gürtel ihres Bademantels enger.
Ihr Zorn berührte Hunter nicht besonders. Er verstand, dass sie bloß Angst hatte, verletzt zu werden. „Du kannst mir vertrauen“, versicherte er ihr sanft.
„Ja, das hast du eben bewiesen“, erwiderte sie sarkastisch.
Als sie seinen enttäuschten Ausdruck sah, brach sie zusammen. Sie konnte nicht mehr länger kämpfen. Denn jetzt gab es noch etwas anderes zu fürchten. Und das waren ihre wachsenden Gefühle für Hunter.
Wenn sie nach dem Öffnen des Kästchens als Erstes Hunter gesehen hätte, dann hätte sie möglicherweise ihre Empfindungen entschuldigen können. Aber so wie es war, konnte sie der Magie nicht die Verantwortung zuschieben. Nicht einmal diese Rechtfertigung hatte sie.
Sie hatte bei diesem Kuss zu viel von sich selbst preisgegeben. Nun konnte sie bloß hoffen, dass er weiterziehen würde, sobald seine Neugier auf das, was ihr Sorgen bereitete, befriedigt war. Zuerst würde er natürlich seine Unterstützung anbieten. Und sie würde sie annehmen. Oberflächlich betrachtet. Denn wenn sie es nicht tat, würde es ihm womöglich einfallen, sie noch mal zu küssen. Eine Hälfte von ihr wünschte sich das zwar, aber die andere hatte Angst davor.
Wenn Hunter wirklich wüsste, was für eine Panik in ihr herrschte, würde er machen, dass er davonkam. Nein, verbesserte sie sich dann aber gleich im Stillen. Hunter war nie der Typ gewesen, der ein Lebewesen, das Schmerzen hatte, im Stich ließ. Er würde versuchen, sie zu heilen, so wie er das mit den verletzten Vögeln getan hatte, als er noch ein Kind gewesen war.
Was sollte sie also tun? Was tat man, wenn man in einer aussichtslosen Situation war? Vermutlich sollte sie ihm die Wahrheit erzählen und das Beste hoffen. Und ihm dabei nicht in die Augen sehen, ermahnte sie sich, während sie nervös eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger wickelte.
Hunter griff nach ihrer Hand und drückte sie. „Sag es mir einfach.“
„Schau, ich … Bevor ich das tun kann, musst du mir versprechen, dass du es weder meinem Bruder noch sonst wem erzählst.“ Als sie sah, dass er drauf und dran war zu protestieren, riss sie ihre Hand weg und sah ihn strafend an. Schon hatte sie ihre Entscheidung von eben vergessen, ihm nicht in die Augen zu sehen. Aber ihr Ärger half ihr, Haltung zu bewahren. „Ich meine das ernst.“
„Okay.“
„Versprich es mir“, drängte sie.
„Ich verspreche es.“
„Es ist nur …“ Sie schob sich das Haar hinter ein Ohr. „Etwas ist in der Schule geschehen. Ich wurde von einem meiner ehemaligen Schüler überfallen. Es war meine Schuld …“
„Es soll deine Schuld gewesen sein, dass du überfallen wurdest?“, fragte Hunter ungläubig.
„Ich war noch spät im Gebäude, später, als ich jemals dort gewesen war. Das war dumm. Es hatte schon früher Ärger in der Schule gegeben. Immerhin reden wir hier von einem Innenstadtbezirk. Nicht, dass es wirklich schlimm gewesen wäre. Es war einfach so, dass man gelernt hatte, gewisse Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Das habe ich an diesem Nachmittag nicht getan.“
„Wurdest du verletzt?“, wollte Hunter wissen.
Sie berührte die winzige Narbe an
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