JULIA COLLECTION Band 12
nicht so neugierig gemustert hätten. Sie drückten beide die Nasen an die Fensterscheibe unter der Neonreklame. Das machte sie so nervös, dass sie die Hälfte ihrer Sachen fallen ließ, bevor sie sie im Auto verstauen konnte. Erst als sie die Hütte ihres Bruders erreichte, entspannte sie sich wieder.
Sie verbrachte den größten Teil des Nachmittags damit, die Katzen zu sich zu locken, nachdem sie gefressen hatten. Spook hielt sich in einiger Entfernung, sodass Gaylynn nicht mal genau wusste, welches Geschlecht er oder sie hatte. Aber Blue erlaubte ihr, kurz mit den Fingerspitzen ihren Rücken zu streifen. Das erinnerte Gaylynn daran, wie Hunter ihren eigenen Rücken berührt hatte.
Sobald ihr Hunter eingefallen war, gelang es ihr kaum, den Gedanken an ihn erneut zu verdrängen. Sie konnte ihn nur in eine hintere Ecke ihres Kopfes abschieben, während sie auf der überdachten Veranda saß und beobachtete, wie die Katzen mit Blättern vom letzten Herbst spielten.
Zuerst war ihr nicht mal bewusst, dass sie nach einem Bleistift gegriffen hatte und auf die Rückseite der altmodischen Quittung aus dem Laden kritzelte. Doch dann stellte sie erstaunt fest, dass sie die Berglandschaft vor ihr gezeichnet hatte, und das nicht einmal schlecht.
Komisch, eigentlich hatte sie nie Zeichentalent gehabt. In der Schule hatten alle sogar Witze darüber gemacht, dass die Kinder mehr zustande brachten als sie.
Es gab eine Menge, das sie am Unterrichten vermisste … das Gefühl, etwas zu bewirken, den Umgang mit den Kindern, den Ausdruck in den Augen eines Schülers, der gerade etwas Neues verstanden hatte. Zum ersten Mal seit Wochen erfüllte der Gedanke an ihren Beruf sie nicht mit blinder Panik. Sie war ganz und gar noch nicht bereit zurückzukehren, aber sie erkannte, dass die friedliche Umgebung eine geradezu magische Wirkung auf sie ausübte.
Bei dem Stichwort „Magie“ fiel ihr das Kästchen ein, das sie in der Hütte hatte. Und gleich darauf dachte sie wieder an Hunter. Würde er abends vorbeikommen, wie er es angekündigt hatte? Morgen kannst du kochen, hatte er sinngemäß gesagt, und sie hatte das Gefühl, dass er ihren Protest in keiner Weise ernst genommen hatte.
Die Sonne würde bald untergehen. Der orangefarbene Ball stand schon tief am westlichen Horizont. Hunter kam vermutlich demnächst von der Arbeit.
Doch Hunter erschien an diesem Abend nicht und konnte den Thunfisch-Nudel-Auflauf, den Gaylynn gemacht hatte, nicht probieren. Tatsächlich kam er gar nicht nach Hause … zumindest hörte Gaylynn seinen Wagen nicht, bevor sie kurz vor vier Uhr nachts endlich einschlief.
Am nächsten Morgen wurde sie von den Vögeln geweckt und machte einen Spaziergang. Dabei steuerte sie nicht absichtlich auf Hunters Hütte zu. Irgendwie schienen ihre Füße sie von selbst dorthin zu bringen, obwohl sie nie zuvor da gewesen war. Die Hütte sah fast genauso aus wie die, in der sie wohnte, hatte bloß zusätzlich noch einen Schornstein an einer Seite.
Hunters Wagen stand nicht davor, und es war niemand zu Hause. Gaylynn versuchte, sich keine Sorgen zu machen. Immerhin hatte Hunter jahrelang gut auf sich selbst aufgepasst.
Trotzdem gingen ihr einige Fragen durch den Kopf. Was war, wenn ihm etwas passiert war? Hatte er bei der Arbeit Ärger gehabt? Ging es ihm gut? Sie wusste, dass es unlogisch war, sich solche Gedanken zu machen. Wie er gesagt hatte, war dies nicht Chicago. In Lonesome Gap waren Schießereien nicht an der Tagesordnung.
Gaylynns Finger zitterten, als sie später die Katzen fütterte. Wie sollte sie es erfahren, wenn Hunter etwas geschehen war? Es gab kein Telefon in der Hütte, und sie hatte ihm nicht die Nummer des Funktelefons gegeben, das ihr Bruder ihr aufgedrängt hatte.
Hör auf damit!, ermahnte sie sich. Gar nichts war mit Hunter passiert. Diese Nervosität war ja lächerlich.
Das erinnerte Gaylynn daran, dass sie nicht in der Verfassung war, mit den Gefahren in Hunters Leben umzugehen. Sie hasste es, so schwach zu sein. Er verdiente jemanden, der ebenso stark war wie er.
Gaylynn kam gerade aus der Dusche, als jemand an der Tür klopfte. Ihre Kehle war sofort wie zugeschnürt.
„Gaylynn, ich bin’s“, rief Hunter.
Sie vergaß, dass sie nur ihren rosafarbenen Bademantel trug, lief zur Tür und machte auf. Hunter sah müde und abgespannt aus. „Tut mir leid, dass ich deine Einladung zum Dinner gestern nicht annehmen konnte“, sagte er.
„Das macht gar nichts“, log sie. „Außerdem war es
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