JULIA COLLECTION Band 12
Sie hatte sich schon oft an gemeinnützigen Projekten beteiligt und wusste, dass häufig nur ein Anstoß nötig war. Sobald alles fast fertig war, konnten die Betroffenen den Rest selbst übernehmen. So war es in Chicago gewesen, und so würde es in Lonesome Gap sicher auch laufen. Diese Menschen würden gut ohne sie zurechtkommen.
Aber würde sie das umgekehrt auch können?
„Wie läuft es denn bei dir?“, fragte Gaylynns Schwägerin Brenda.
„Gut“, antwortete Gaylynn automatisch. Sie hatte Brenda mit ihrem Funktelefon angerufen, weil sie es nötig hatte, mit einer Frau in ihrem Alter zu sprechen.
„Bist du beschäftigt?“
„Und ob. Ich habe eine Katze mit zwei Jungen aufgenommen. Sag Michael nichts davon, sonst dreht er womöglich durch. Inzwischen sind sie stubenrein, und die Tierärztin hat bestätigt, dass sie gesund sind.“ Gaylynn betrachtete die drei Katzen, die alle zufrieden schliefen. Es sah aus, als würden sie lächeln. „Du solltest sie sehen, Brenda. Sie sind so was von süß.“
„Bilde ich mir das ein, oder bekommst du einen Südstaatenakzent?“, erkundigte sich Brenda.
„Das muss Einbildung sein.“
„Was hast du noch getan, außer drei Katzen zu adoptieren?“
Gaylynn beschloss, Brenda nichts von der Neueröffnung der Bücherei zu erzählen. Immerhin war noch nichts Konkretes geschehen. Erst einmal wollte sie die Reinigungsaktion am Samstag hinter sich bringen, bevor sie etwas erwähnte. „Ich habe ein bisschen gezeichnet“, sagte sie stattdessen. „Das ist irgendwie seltsam, wenn man bedenkt, dass ich vorher niemals auch nur das geringste künstlerische Talent hatte. Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Berge hier mich inspirieren.“
„Oder es könnte auch am Kästchen liegen“, meinte Brenda. „Erinnerst du dich, dass Michael früher nie mit Babys umgehen konnte? Nachdem er das Kästchen bekommen hatte, war Hope ganz wild auf ihn. Und nicht nur das, inzwischen wollen alle Babys zu ihm, egal, wo wir sind. Das ist ein bemerkenswerter Anblick.“
„Und du denkst, das Kästchen hilft mir beim Zeichnen? Aber warum? Dass Michael auf einmal gut mit Babys zurechtkam, hatte einen praktischen Zweck. Es hat euch beide zusammengebracht.“ Gaylynn konnte kaum fassen, dass sie so selbstverständlich über Magie redete. Aber sie war auch dazu erzogen worden, an gewisse Möglichkeiten zu glauben.
„Ich bin nicht sicher, warum das Zeichnen für dich wichtig ist“, erwiderte Brenda. „Das kannst nur du wissen. Hat es etwas bei dir verändert?“
„Ich bemerke dadurch mehr“, gab Gaylynn zu. „Ich sehe die schönen kleinen Dinge im Leben. Wenn man etwas zeichnet, muss man es richtig betrachten. Verstehst du, was ich meine?“ Während sie sich unterhielten, hatte Gaylynn auf einem Stück Papier herumgekritzelt, und aus den Linien und Kreisen wurde nach und nach Hunters markantes Gesicht. Das erinnerte sie daran, warum sie Brenda ursprünglich angerufen hatte. „Übrigens brauche ich die Meinung einer anderen Frau.“
„Probleme mit Männern?“, fragte Brenda voller Mitgefühl. „Hast du wegen des Kästchens Probleme mit einem Mann?“
„Ich wünschte, es wäre so einfach.“
„Oh, oh“, murmelte Brenda. „Was ist geschehen, als du das Kästchen geöffnet hast? Das hast du doch inzwischen getan, oder?“
„Sicher. Und es ist gar nichts passiert.“
„Du hast niemanden gesehen?“
„Da war ein alter Mann im Wald, der wie ein Landstreicher aussah. Es könnte sein, dass er ein Schnapsbrenner war.“
„Oh, nein!“
„Aber glücklicherweise scheint er mich nicht gesehen zu haben. Und er ist mir auch nicht noch mal begegnet. Die schlechte Nachricht ist, dass ich … Gefühle … für jemand anderen habe.“
„Wen?“
„Hunter Davis.“
„Michaels alten Freund?“
„Richtig. Und ich weiß nicht, was ich deswegen unternehmen soll.“
„Worin besteht denn das Problem? Ist er verheiratet oder schon mit jemand anderem zusammen?“
„Nein. Er ist geschieden, obwohl Michael sich nie die Mühe gemacht hat, mir das zu erzählen.“
„Ich arbeite immer noch an der Kommunikationsfähigkeit deines Bruders“, erwiderte Brenda.
„Wo ist er übrigens? Ich hätte ihn doch bestimmt schon im Hintergrund gehört, wenn er da wäre.“
„Er ist mit Hope spazieren gegangen.“
„Gut. Dann kannst du mir einen Rat von Frau zu Frau geben, ohne dass er lauscht. Was soll ich wegen Hunter unternehmen?“
„Wieso erzählst du mir nicht, worin die Schwierigkeiten
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