JULIA COLLECTION Band 20
Marty hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt. „Der Schlüssel liegt unter der Vogeltränke, falls ich nicht da bin.“ Sie hatte ihr ein Zimmer angeboten, solange Daisy noch keine neue Bleibe gefunden hatte.
„Ich sage es dir immer wieder: Eines Tages wirst du diesen Schlüssel verlieren“, hatte Sasha Marty im Hinausgehen gewarnt. „Kennst du den Vogelfutterspender hinten in meinem Garten? Eigentlich soll er gegen Eichhörnchen gesichert sein, aber ich sage dir, dass ein entschlossenes Eichhörnchen sogar Flügelschrauben öffnen kann.“
„Ihr seid beide komplett verrückte Eichhörnchen“, rief Daisy ihnen hinterher und musste trotz ihres Kummers lachen.
Gegen Mittag war die Küche blitzsauber. Faylene hatte den Kühlschrank ausgewischt und die letzten Reste aus der Speisekammer geräumt. Das Telefon war längst abgestellt, und jetzt wartete Daisy nur noch darauf, dass die Männer vom Elektrizitätswerk kamen, um den Strom abzuschalten. Die Leitungen waren sicher genauso alt wie der Rest des Hauses, und Daisy wollte kein Risiko eingehen, denn es war ja niemand da, der den Rauchmelder hörte, falls sich irgendwo ein Brand entwickelte.
„Bist du sicher, dass du nichts von diesem Zeug möchtest? Eine Dose mit Suppe oder sonst etwas? Könnte doch sein, dass du heute Abend immer noch hier sitzt.“ Faylene hatte ihr anscheinend ihre Mithilfe beim Verkuppeln verziehen.
„Ich verschwinde, sobald die Männer den Strom abgestellt haben.“ Daisy lächelte tapfer. „Fürs Erste ziehe ich zu Marty, dann werden wir uns also dort sehen.“
„Du hast bestimmt gehört, dass sie dein Apartmenthaus abreißen wollen. Wahrscheinlich bauen sie da genau so einen hässlichen Betonklotz hin, wie sie überall herumstehen. Du kannst auch bei mir wohnen, wenn du möchtest. Ich würde dir auch beim Packen und Umziehen helfen. Bei mir ist es zwar nicht schick, aber sauber.“
„Oh, Faylene, nach gestern hätte ich nicht damit gerechnet, dass du mich immer noch aufnehmen würdest.“
„Nicht auf Dauer, aber ein paar Tage halten wir es bestimmt miteinander aus. Bald ist Erntedankfest. Wenn du gebratene Gans mit Füllung magst, kannst du gern kommen. Bob Ed wird kochen und meine ganze Wohnung dabei verwüsten.“
Ganz unvermittelt traten Daisy Tränen in die Augen, und sie schüttelte den Kopf. „Ich liebe Gans.“
Sie hatte noch nie welche gegessen, aber sie erkannte, dass Faylene ihr mit dieser Geste signalisieren wollte, dass sie ihr voll und ganz verziehen hatte.
„Marty und Sasha und ich haben schon geplant, nach Virginia Beach zu fahren und am Erntedankfest dort in dem Restaurant zu essen, das Sasha gerade neu einrichtet. Sie haben ihr gesagt, sie könne so viele Gäste mitbringen, wie sie möchte. Essen und Getränke auf Kosten des Hauses. Und wir zwei sehen uns am Montag bei Marty, ja?“
„Vorausgesetzt, ich bin dann nicht mehr sauer auf sie. Ich weiß, dass das alles nicht deine Idee war. Zumindest haben die anderen beiden damit angefangen.“ Faylene schüttelte den Kopf und musste lächeln, als Daisy ihr die Tür aufhielt, weil Faylene mit Konserven, Getränken, Trockenblumen und Gewürzfläschchen beladen war. „Bleib nicht länger hier als nötig, verstanden?“
„Versprochen. Bis bald.“ Daisy blieb noch an der Haustür stehen und fühlte sich mit einem Mal leer und einsam. „Mach’s gut, Harvey“, flüsterte sie. „Und mach dir keine Sorgen. Sie werden sich gut um das Haus kümmern.“
Das würden sie bestimmt. Die Mitglieder der Historischen Gesellschaft waren sich oft uneins, doch alle erkannten den Wert dieses Hauses, das seit mehr als hundert Jahren eines der Wahrzeichen der ganzen Umgebung war.
Über Nacht war die Temperatur um mehrere Grad gefallen, und auf einmal war es kalt in dem Haus. Daisy hatte die Heizung angelassen, bis der Mann von den Gaswerken sie ausgestellt und die Gastanks abtransportiert hatte.
Jetzt vermisste Daisy Kell mehr denn je. Kell, diesen Mistkerl.
Während sie ihre Waschsachen aus dem Bad und aus der Küche räumte, nahm sie sich vor, noch zum Postamt zu fahren, damit ihre Post dort gesammelt wurde, bis sie eine neue Adresse hatte.
In Gedanken ging sie noch einmal alles durch. Die Fenster waren alle geschlossen, die Zimmertüren standen alle offen, damit die Luft zirkulieren konnte. Daisy hatte nicht vor, noch einmal hierher zurückzukommen, besonders nicht nach der letzten Nacht. Na schön, der Sex war unvergleichlich gewesen. Mit einem guten Liebhaber
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