Julia Collection Band 21
Ehe ihrer Eltern nie zu Stande gekommen wäre, hätte sich nicht ein Baby angekündigt. Ihr Vater hatte gerade das Lehrerexamen absolviert, als er der französischen Studentin begegnet war, die in der gleichen Schule als Aushilfslehrerin tätig war. Für Pippas Mutter war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, und noch Jahre später war sie verzweifelt bemüht gewesen, die Untreue ihres Ehemannes zu entschuldigen.
„Wir sind nur ein paar Mal miteinander ausgegangen“, hatte sie ihrer Tochter berichtet. „Als ich merkte, dass ich ein Baby erwartete, traf dein Vater sich bereits mit einer anderen. Er war bei den Mädchen sehr beliebt, und ich war zu still für ihn, aber als ich ihm von der Schwangerschaft erzählte, war er sofort bereit, mich zu heiraten. Für ihn war es ein großes Opfer, und ich war ihm dafür dankbar.“
Allerdings hatte ihre Mutter einer anderen Generation angehört und erschreckend geringe Ansprüche ans Leben gestellt. Sie hatte sich an den Vater ihres ungeborenen Kindes geklammert und demütig akzeptiert, dass er weder nett zu ihr noch treu sein würde. Indem sie einen Mann geheiratet hatte, der sie nicht liebte und insgeheim ablehnte, hatte sie einen bitteren Preis bezahlt.
Diese Erkenntnis bestärkte Pippa in ihrem Entschluss. Sie zog ein blassgrünes Etuikleid an und ergänzte es mit einer goldfarbenen Leinenjacke.
Berthe kam aus der Küche, als sie Pippa in der Halle hörte, und verwickelte sie in ein Gespräch. Als ihr Blick auf den Koffer fiel, stutzte sie. Notgedrungen musste Pippa ihr von dem Taxi berichten, das sie nach Bourdeilles fahren sollte. Prompt beharrte Berthe darauf, sie in die Stadt mitzunehmen, da sie ohnehin noch einige Besorgungen machen müsse.
Der altersschwache Citroën rumpelte mit alarmierender Geschwindigkeit die unebene Straße entlang. Zu spät erinnerte Pippa sich daran, dass Andreo sie vor Berthes halsbrecherischen Fahrkünsten gewarnt hatte. Glücklicherweise war der Wirtschaftsweg kaum befahren. Deshalb rang Pippa schockiert um Atem, als die Haushälterin das Steuer plötzlich nach links riss.
Der Lastwagen, der ihnen entgegendonnerte, schien aus dem Nichts zu kommen. Mit einem schrillen Angstschrei versuchte Berthe, ihm auszuweichen.
Ich hätte ihn heiraten sollen, dachte Pippa, als der kleine Wagen in den Graben stürzte.
10. KAPITEL
Pippa öffnete benommen die Augen.
Der Citroën lag in einem Graben. Berthe schluchzte vor Schock, war jedoch genau wie Pippa unverletzt. Von dem Lastwagen war keine Spur zu entdecken, offenbar hatte der Fahrer noch einmal Gas gegeben und sich nicht um den Kleinwagen gekümmert, den er fast unter sich zermalmt hätte.
Mit zittrigen Fingern schaltete Pippa den Motor ab. Dann überzeugte sie die ältere Frau, dass es sicherer wäre, wenn sie aussteigen würden. Als Pippa in den staubigen Graben kletterte, verfing sich der Ärmel ihrer Jacke im Draht eines Zaunpfahls, der durch den Unfall umgestürzt war. Der Stoff riss, als Pippa vergeblich versuchte, sich zu befreien. Seufzend streifte sie die Jacke ab und ließ sie zurück. Es kostete sie einige Anstrengung, zur Fahrerseite zu gelangen und Berthe zu helfen.
Als sie die mollige Haushälterin aus dem Citroën gezogen hatte, hielt ein verbeulter Lieferwagen mit Berthes Mann Guillaume und ihrem schlaksigen Sohn neben ihnen an. Ihre Angehörigen hatten das Unglück vom Feld auf der anderen Straßenseite beobachtet. Berthe lamentierte lauthals, dass sie keine Chance gehabt habe, das Kennzeichen des Lastwagens zu erkennen.
Guillaume ignorierte ihr Jammern und verfrachtete seine Frau behutsam ins Führerhaus. „Es ist alles in Ordnung“, versicherte er und forderte Pippa auf, es sich ebenfalls bequem zu machen.
„Kommen Sie mit uns nach Hause, und ich werde Sie in meinem Wagen in die Stadt bringen“, versprach Berthes Sohn.
„Danke, aber ich habe es mir anders überlegt. Ich will heute nicht mehr weg“, erwiderte Pippa.
Es ist erstaunlich, wie eine kurze Begegnung mit dem Tod die Gedanken klären kann, überlegte Pippa, als sie wieder im Kloster war. Der Himmel war ihr nie blauer, die Sonne nie goldener erschienen, und die Farben der Natur leuchteten lebhafter als je zuvor.
Wie hatte sie überhaupt in Betracht ziehen können, ein zweites Mal vor Andreo fortzulaufen? Er hatte ihr vorgeworfen, zu ängstlich zu sein, um ihm eine Chance zu geben. Das stimmte. Von Anfang an hatte sie das Ende ihrer Beziehung im Auge gehabt und versucht, eine sich selbst erfüllende
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