Julia Collection Band 57
wir haben keine Zeit mehr. Hier ist eine Treppe. Ich stehe auf der obersten Stufe.“ Es begann zu regnen, und in Sekunden klebten ihnen die Kleider am Leib. Lincoln hob die Tür ein Stückchen weiter an. „Los!“, brüllte er ihr über das ohrenbetäubende Heulen des Sturms zu. „Wenn du drinnen bist, halt den Sattel fest. Sonst fällt womöglich die Tür zu, und wir kommen hier nie wieder raus.“
Sobald sie durch die Öffnung geschlüpft war, folgte Lincoln ihr. Lindsey schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass es im Keller keine Schlangen gab. Dann brach der Tornado über sie herein. Wie ein entfesseltes Ungeheuer tobte er über die Lichtung und durch den Wald, entwurzelte Bäume, schleuderte sie durch die Luft, verwüstete alles, was ihm im Weg war. Eine halbe Ewigkeit wütete die unberechenbarste aller Naturgewalten über ihnen. Die Falltür quietschte und ächzte, und schließlich riss der Sturm sie aus den Angeln. Laut scheppernd schrammte sie an der Grundmauer entlang, ehe sie weggewirbelt wurde.
Lincoln hatte Lindsey die ganze Zeit in den Armen gehalten, während sie auf feuchten Steinen im Keller kauerten. Ohne die schützende Tür schützte er sie jetzt mit seinem Körper vor umherfliegenden Trümmern. Sie konnte sein Herz schlagen fühlen, als sie sich an ihn schmiegte. Ja, Lincoln war bei ihr, und er würde sein Leben für sie riskieren, weil er sie liebte.
Es hatte eine Weile gedauert, aber sie hatte endlich begriffen, dass er sich nur deshalb zögernd auf seinen Sohn eingelassen hatte, weil er ihn liebte und Angst hatte, ihn zu verletzen. Nun würde er Cade aus denselben Gründen gehen lassen, obwohl es ihm das Herz brechen würde.
Lincoln verhielt sich ehrenhaft und heldenmütig, was Cade betraf. Der einzige Feige von ihnen drei war sie.
Ganz in Gedanken und wie betäubt vom Aufruhr in den Lüften, bekam Lindsey es zuerst gar nicht richtig mit, als es im Wald plötzlich ganz still wurde. Der Tornado war vorbei, und sie waren noch am Leben.
„Wir haben es geschafft, Lincoln!“ Sie schob die breite Hand beiseite, die ihr Gesicht geschützt hatte. „Genau wie damals bei dem Feuer haben wir überlebt.“
Lincoln antwortete nicht. Er bewegte sich nicht.
„Lincoln!“
Als sie sich seiner Umarmung entwand, merkte sie, dass er bewusstlos war und sie voller Blut. Aber nicht sie blutete, sondern Lincoln. In panischer Angst suchte sie ihn nach Verletzungen ab. Er hatte eine große Platzwunde am Kopf.
„Hilfe“, murmelte sie. „Ich muss Hilfe holen.“
Beim Klang ihrer Stimme begann Diablo zu wiehern und versuchte aufzustehen. Lindsey eilte zu ihm. Das Pferd hatte zum Glück nur ein paar Kratzer und Schrammen abgekommen. Doch sobald sie seine Augenbinde und Fußfesseln entfernt hatte und Diablo aufstand, stellte sich heraus, dass er lahmte.
Lindsey bezwang ihre aufsteigende Panik, denn so würde sie Lincoln keine Hilfe sein. Sie überlegte, ob sie bei dem Chaos ringsum zu Fuß Hilfe holen oder lieber bei Lincoln bleiben sollte. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als sie bekannte Stimmen rufen hörte.
„Hier!“, rief sie zurück. „Wir sind hier!“
Kurz darauf waren Adams, Jackson, Jefferson und Cullen bei ihr. Sie versicherten sich, dass sie unverletzt war, und kümmerten sich gleichzeitig um Lincoln.
„Er ist okay.“ Beruhigend legte Jackson ihr einen Arm um die Schulter. „Er ist wirklich okay.“
Doch Lindsey entging nicht, dass er ernster war als sonst.
„Mal wieder ein Schlag auf den Kopf. Bloß gut, dass er so einen verdammt harten Schädel hat. Aber keine Angst, es ist nichts, was Cooper nicht richten könnte. Eines jedenfalls ist sicher – sobald Lincoln die Kopfschmerzen los ist, wird er einen riesigen blauen Fleck haben.“
Jackson war zwar der gesprächigste der vier Brüder, aber Lindsey hatte ihn noch nie so nervös plappern hören. Er versuchte, sie trotz seiner eigenen Besorgnis zu trösten. „Danke, Jackson. Ich weiß gar nicht, wie ich mich dir erkenntlich zeigen soll.“
„Ich schon. Und ich glaube, du weißt, was ich meine.“
„Dass ich nicht wegziehen soll?“
Sanft wischte Jackson ihr die Tränen weg, die ihr übers Gesicht strömten, ohne dass sie es gemerkt hätte. „Ich bitte dich um meines Bruders willen, der Sache etwas mehr Zeit zu geben. Warte doch erst mal ab, wie sich die Dinge entwickeln, ehe du wegläufst.“
Lindsey biss sich auf die Lippen. Ihr Blick war auf Lincoln gerichtet, der gerade von Jefferson, Adams und Cullen aus dem
Weitere Kostenlose Bücher