Julia Collection Band 61 (German Edition)
sie gestorben war, hatte er gewünscht, das Kind, das sie geboren hatte, wäre statt ihrer gestorben.
Es schmerzte, doch endlich ergab alles einen Sinn. Sein Vater war niemals ein grausamer Mann gewesen, doch manchmal hatte Chase das Gefühl gehabt, Charles Severin konnte es nur ertragen, seinen Sohn anzusehen, wenn er vorher ein paar Gläser getrunken hatte.
Chase griff erneut nach der Flasche, überlegte es sich aber anders. Der Alkohol hatte in all den Jahren die Probleme seines Vaters nicht gelöst, und er würde auch seine Probleme nicht lösen.
Verdammt.
Er stand auf und zog ein paar Scheine aus der Tasche. „Danke für die Geschichtsstunde, Guidry. Ich verschwinde.“
„Oh, ich habe noch weitere Lektionen für dich, Junge. Wenn du bleibst, dann teile ich sie dir gern mit.“
Kopfschüttelnd grinste Chase den Mann an. „Heute Abend nicht, danke. Vielleicht ein andermal.“ Er warf das Geld auf den Tresen und wollte gehen.
Der Alte hielt ihn auf, indem er ihm eine Hand auf den Arm legte. „Bist du in Schwierigkeiten, Junge? Du siehst verhext aus. Es ist ganz offensichtlich.“
„Verhext?“ Chase lief ein kalter Schauer über den Rücken, doch dann schüttelte er den Kopf über sich, weil er seiner Fantasie freien Lauf gelassen hatte. „Wovon reden Sie?“
„Der Zauber“, zischte Guidry. „In der Sekunde, als du deine Tasche berührt hast, kam ein goldener Nebel über dich. Irgendeine Hexe manipuliert deine Seele, Junge. Gib acht.“
Das war natürlich Unsinn, aber instinktiv griff Chase in seine Tasche, in der er das Geschenk der Roma aufbewahrte, und umschloss das goldene Ei. Es war nichts Ungewöhnliches an dem warmen, metallischen Gefühl, das das Gold vermittelte.
Na also. Der Alte war nur voller Aberglauben. Chase hatte lange genug in dieser Gegend gelebt, um zu wissen, dass ein Zauber einen nur dann berühren konnte, wenn man daran glaubte. Und das tat er nicht.
Er wünschte dem Barkeeper eine gute Nacht und fuhr dann zurück in die Pension. Es war ein aufregender Abend gewesen. Wenn er tatsächlich nach Live Oak Hall ziehen wollte, brauchte er seine gesamte Aufmerksamkeit und Entschlossenheit, denn er hatte das unangenehme Gefühl, sich mitten in einem Sumpf zu befinden, aus dem es kein Entkommen gab.
Die alte Roma stand vom Tisch auf und fluchte. „Soso, du glaubst also nicht an Zauberei, junger Severin? Wie dumm von dir.“
Passionata strich über die Kristallkugel und verschränkte dann die Arme vor der Brust. Am liebsten würde sie ihn allein lassen mit den Geistern aus seiner Vergangenheit. Doch im gleichen Moment hörte sie die Stimme ihres Vaters, der ihr auf dem Sterbebett ein Versprechen abgenommen hatte. Wenn sie es nicht erfüllte, würde er nie zur Ruhe kommen – und sie auch nicht.
Müde erhob sie sich und seufzte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als persönlich einzugreifen.
Sie ließ die Kristallkugel in die Tasche gleiten und bereitete sich darauf vor, sich einen Weg durch die Sümpfe zu suchen. In ihr würde der junge Severin seinen Meister finden.
„Ich bin es, was du dir eingebrockt hast, Junge“, flüsterte sie. „Und ich werde dieses Spiel gewinnen.“
5. KAPITEL
Chase, der auf dem Weg nach Live Oak Hall war, lenkte seinen Jaguar an den Straßenrand, um die alte Reismühle in Ruhe betrachten zu können. Das Gebäude war ein Schandfleck in der Landschaft.
Er erinnerte sich, dass er die Mühle als Kind mit einem riesigen Bienenstock verglichen hatte. Sie war das Zentrum der Stadt gewesen, und viele hatten sich hier ihren Lebensunterhalt verdient. Lange Reihen von Lastwagen hatten rund um die Uhr den Reis angeliefert, während die Kähne das Reismehl vom Hafen aus abtransportierten. Doch heute, an einem sonnigen Samstagmorgen, sah die Mühle verlassen aus.
Die Menschen dieser Stadt und der Umgebung hatten hier einmal Anstellung und Wohlstand gefunden – damals, als Kates Großvater die Mühle betrieben hatte. Aber dann war der alte Mann gestorben, und Kates Vater hatte sie übernommen. Und jetzt, nach Jahren der Misswirtschaft, war den Einwohnern nichts als Arbeitslosigkeit und das riesige, abblätternde Wrack eines Gebäudes geblieben.
Chase war eigentlich mit der festen Absicht nach Bayou City gekommen, die Mühle abzureißen. Da sie einmal von Kates hassenswertem Vater geführt worden war und seine Macht und Inkompetenz repräsentierte, verdiente sie es seiner Meinung nach nicht anders. Aber Henry Beltrane war tot und begraben, und seine
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